Im Kino und ums Kino
Böse Zellen

Es gibt Filme, die ziehen einem die Hauptpersonen raus in die Wirklichkeit. Man verlässt das Kino im sicheren Glauben, auf den nächsten hundert Metern einen von ihnen zu treffen und ihm irgendwas Neues zu erzählen, das man weiß, weil man eben erst im Kino war. Verrückt. Verrückter wird’s, wen man einem realen Bekannten begegnet und zum Beispiel anfängt: „Du, das mit dem Andi und der Andrea wird doch noch was. Die hatte ja was mit diesem Reini, ein widerlicher Typ, aber das weiß keiner, auch nicht, ob das Kind vom Andi ist. Trotzdem besser für Yvonne. Die Kleine ist ganz durcheinander, nach dem ihre Mutter gestorben ist, von der Disco heim, in die ist der Kai rein, wo sie sechs Jahre vorher noch den Flugzeugabsturz überlebt hat, als einzige. Verrückt.“
Da hat einer Böse Zellen gesehen von Barbara Albert und immer noch nicht viel verraten von den vielen Dingen, die da passieren wie im richtigen Leben. Immer dieselben Menschen kommen an einem vorbei, manche mit einem leichten Schlag, manche traurig, manche widerlich, alle rührend echt, in der Dichte nur manchmal gestelzt. Da wird viel geliebt und wieder sein lassen. Jedem könnte man irgendwann noch etwas erzählen über den, mit dem er gerade redet. Aber geht ja nicht, ist nur ein Film, ein toller.
Was Barbara Albert da veranstaltet, ist nie so ekelhaft wie Haneke und nie so komisch wie bei Hader, aber es ist so eigen, so stilsicher, dass es einen schwer aus dem Bann entkommen lässt. Stundenlang könnte man da noch zuschauen, und dann ist es doch plötzlich rum und man muss raus und ein bisschen auf seinen Mund aufpassen, wenn man jemanden trifft.

Start: 1. April 2004

Willibald Spatz
10. Februar 2004

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