Alles wahr und schlimm
DER EXORZISMUS DER EMILY ROSE

Im Prinzip nichts gegen Filme, die von sich behaupten, sie seien nach wahren Begebenheiten gedreht. Im Fall DER EXORZIMUS DER EMILY ROSE wäre das der Prozess, der dem Pfarrer gemacht wurde, der die Teufelsaustreibung an der Studentin Emily Rose vorgenommen hat. Der waren Epilepsie und Psychose diagnostiziert und ein Medikament verschrieben worden. Jener Pater Moore (Tom Wilkinson) sagt, das helfe dem Mädchen alles nichts, das seien Dämonen, die könne man austreiben. Woraufhin Emily stirbt und er vor Gericht muss. Die Verteidigung übernimmt die ambitionierte Anwältin Erin Brunner (Laura Linney), der bald auch einiges passiert, was schwer auf die Heimsuchung durch einen Dämonen hinweist: Die Armbanduhr bleibt nachts um drei stehen, sie riecht Rauch, geht auf den menschenleeren Gang, doch da ist nichts.
Der Film ist zum einen ein Gerichtsfilm, enthält lange Plädoyers und Zeugenaussagen, durchaus fesselnd und fragend, wie viel man selbst dem einen oder anderen glauben wollen würde; zum anderen ist er Horrorfilm. Mit vielen Rückblenden wird die Zugrunderichtung der Emily Rose durch böse Mächte nachbebildert, in der fortlaufenden Erzählung sollen die Nächte der Anwältin schocken. Tun sie auch. Der Regisseur Scott Derrickson, der mit Wim Wenders die Story von LAND OF PLENTY entwickelte und HELLRAISER: INFERNO inszenierte, versteht sein Handwerk. Wenn der Regen peitscht und harmlose Passanten Fratzen bekommen anstelle ihrer Gesichter, dann ist das durchaus schrecklich, schrecklicher als Durchschnitt. Dennoch ist man irritiert. Das alles soll sich, wie erwähnt, wirklich so zugetragen haben, darauf wird dauernd bestanden und hingewiesen in der Pressenotiz und im Abspann und im Vorspann. Und das wäre in Ordnung, könnte man sagen, dass ein Regisseur die Wirkung seines Films durch diesen dramaturgischen Kniff erhöht. Und im Fall der EMILY ROSE funktioniert das auch. Man ist völlig auf der Seite der Nichtrationalisten, denen man nur glauben kann. In einer Szene führt der Pater ein Tonband vor, das er mitgeschnitten hat während es versucht hat, dem Mädchen den Teufel auszutreiben. Für die Geschworenen im Saal ist das nur mäßig überzeugend, denn so eine Aufnahme ist leicht manipulierbar. Der Zuschauer im Kino weiß mehr, weil er es nicht nur hören muss, sondern vor allem gezeigt bekommt, wie die Pferde im Stall durchdrehen und abhauen und Schlangen von der Decke fallen plötzlich.
Jeder Horrorfilm versucht tief im Menschen eine Angst aufzuspüren und ihn dort zu packen. Wenn er das schafft und den Menschen so weit bringt, sich zwei Stunden gequält im Sessel zu krümmen, dann ist er gut. DER EXORZIMUS VON EMILY ROSE langt an eine hässliche, problematische Stelle. Es geht um ein Mädchen, das irgendwelche psychischen Probleme hatte und das sich, als ihr die Schulmediziner nicht mehr weiterhelfen konnte, an einen fundamentalistischen Geistlichen gewandt hat, der sie mit Ave Maria und Weihwasser heilen wollte. Witzig ist das nur, wenn man nicht daran denkt, dass unlängst Schlagzeilen in den Zeitungen waren über eine Zeugen-Jehova-Familie, deren Kind gestorben ist, weil die Eltern es nicht operieren lassen wollten. Oder denke man nur an die Debatte, die Kreationisten ausgelöst haben in den USA und die für unser Gefühl überraschend ernsthaft geführt wird. Dieser Film spielt sicher nur mit diesen Positionen und Emotionen, er ist zu virtuos, um einer Seite Wasser auf die Mühlen zu leiten. Trotzdem muss einiges los sein in einer Gesellschaft, damit ein solches Thema in dieser Weise aufgegriffen werden kann. Irgendjemand da draußen – vielleicht gar nicht so wenige – könnte das hier ziemlich ernst nehmen, und das wäre das übelste Gefühl, das einem die Emily Rose verschafft hat.
START: 24. November 2005

Willibald Spatz
16. Oktober 2005

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