Der kleine Sexwurm in Wirklichkeitd
WILLENBROCK von Andreas Dresen

"Ich hab's zu was gebracht", verrät Willenbrock über sich. Er ist Chef, kein König, er ist Autohändler, keiner, der zu den Sternen greift. Das, zu was er's gebracht hat, ist ein eigenes Geschäft, ein liebe Frau, genug Geld, um deren schlecht laufende Boutique über Wasser zu halten, und nebenher eine Geliebte, immerhin eine Professorin. Willenbrock - eine ostdeutsche Existenz, die fest im Sattel des Lebens sitzt, die die Marktwirtschaft angenommen hat, wie es sich gehörte. Eine Existenz, die sich durchaus einen Spritzer Hybris erlauben kann. Und Hybris deutet hin auf den klassischen Start einer Tragödie.
Doch wohin soll dieser unadelige Held fallen, womit bestraft werden für den Versuch, in das Fleisch einer Studentin zu greifen und gleichzeitig alle anderen Frauen weiter zu besitzen? Es bleibt nur der Sturz in die eigene Leere, die wie ein Krebsgeschwür ins Bewusstsein wuchernde Erkenntnis, dass die eigenen großen Tage gezählt und vorbei sind, dass an dieser Marke, die er gerade passiert, das Alter in Deutschland beginnt und mit ihm der Verfall.
Dem Filmemacher Andreas Dresen gelingt es wie nur wenigen, die Magie aus deutschen Kulissen zu klauben; wie nur wenige findet er hier den idealen Platz für seine Geschichten. Dabei geht es ihm nicht vor allem um die Schönheit oder die Poesie dieser Urbanlandschaften, eher um den ironischen Bruch: Willenbrock steigt eines Morgens in sein Auto, grölt laut zum Radio "I'm walking on Sunshine" und fährt an einem Autounfall vorbei. Sein Blick bleibt währenddessen nicht an der Leiche, die in den Sack gepackt wird, hängen, sondern an der blassen Schönen, die mantelumhüllt gerade versucht, das eben Geschehene zu begreifen. Alles in dem herzergreifenden Grau in Grau, das den Beginn des Films bestimmt und das beim Fortschreiten der Handlung und der Erkenntnis und der Hässlichkeit der Ereignisse einem blendenden Weiß weicht.
Das Eigenartigste und Faszinierendste an WILLENBROCK ist, dass alles, trotzdem es eine streng durchexekutierte Parabel ist, sehr authentisch wirkt. Diese Figuren, diese Umstände muss es wirklich geben, sonst kann man der eigenen Realität nicht mehr glauben. Das Wesentliche zu diesem wahren Schein trägt wohl Axel Prahl in der Titelheldenrolle bei. Wenn dieser Mensch einem auf der Straße begegnen würde, riefe man ihm gern "Ja, Chef" zu, gäbe ihm eine Zigarette und dächte sich "Du kleiner Sexwurm, du".
Eigentlich ist Andreas Dresen vernarrt ins Zwischenmenschliche, völlig unbeirrt versucht er in die winzigsten Ecken jenes Mysteriums zu leuchten, das Zweisamkeit ausmacht. Und er ist da manchmal mit einer Begeisterung am Werk, die den Zuschauer stellenweise ein Stück weit im Regen zurückstehen lässt. Dieser WILLENBROCK hat seine Vorlage in einem Roman von Christoph Hein, welcher seinen Verfilmer zwingt - um vollständig zu erzählen - ein gewisses Maß an Spießeralltag zu zeigen: Mittelstandsunternehmer besoffen auf Studenten-WG-Essen oder in Verhandlung mit semikriminellen Russen und rauchenden Staatsanwälten. Das führt nicht nur zu den komischsten Momenten, sondern tut auch der ganzen Sache gut, die durchaus ein bisschen gefährdet ist, in der steinalten Mann-Frau-Problematik zu versumpfen.
Ein neuer deutscher Mythos (NDM), der geschickt zwischen Tristesse und Schäbigkeit, Lachen und Verkaterung, Auferstehung und Asphalt torkelt, der einen daran zurückerinnert, dass man sein Herz im Kleinen verloren hat und dass die größten Geschichten im Alltag, im eigenen Leben spielen. Was da rausspringt ist die Versöhnung mit dem Schicksal, jener Trost, den man sonst nur in der Zweitwirklichkeit des Kinos findet. Und das ist doch nicht ganz schlecht. Darüber sollen die Sterne, in Ruhe gelassen, leuchten.
WILLENBROCK. D, 2004, Regie: Andreas Dresen, Drehbuch: Laila Stieler nach dem gleichnamigen Roman von Christoph Hein, mit Axel Prahl, Inka Friedrich, Anne Ratte-Polle u. a.
START: 17. März 2005

Willibald Spatz
12. Februar 2005

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