Gefährliche Tiere – Dieser ständige Kampf ums Dasein

Eigentlich ist es müßig, jedes Jahr von Neuem davon anzufangen und die Hektik in der Vorweihnachtszeit zu beklagen wie neulich ein Bekannter, der abseits stehend den Trubel auf dem Christkindlsmarkt beobachtete und sich nach einer Weile kopfschüttelnd von dannen machte mit den Worten: „Die sollen sich halt besinnen.“ So recht er hat, aber wie denn in dieser auf Spektakel und EventEventEvent fixierten Zeit? Wo selbst die Medien müde abwinken, wenns um einen Unfall geht, bei dem nicht mindestens einer drauf gegangen ist. Keine Toten, kein Interesse. Und einer ist keiner, wenn er es nicht mindestens geschafft hat, sich richtig fulminant ins Jenseits zu befördern. Kennen Sie den Darwin-Award? Mit dem wird jedes Jahr derjenige ausgezeichnet, der sich auf die bekloppteste Art und Weise ums Leben gebracht hat. Posthum selbstredend. Absichtserklärungen und gute Pläne werden von der Jury ungeöffnet verworfen.
Ein ganz Großer ist ein Ex-Schlangenbeschwörer aus Indien. Er wurde in eine Wohnung gerufen, in der sich eine Würgeschlange aufhielt. Flugs und wie es seine Profession ist, hatte er das Tier aufgespürt, eingefangen und in einen großen Sack gesteckt. Daheim wollte er das lebende Tier dann fachgerecht entsorgen. Wie er aber da auf seinem Motorroller heimsauste, entdeckte er Kumpels am Straßenrand. Er hielt an und die Antwort auf die Frage, wo er herkomme und was er da in seinem Sack verberge, glaubten sie ihm nicht. Also musste er, um zu beweisen, dass er nicht log, den Sack öffnen. Die Jungs waren beeindruckt. Und wo Eindruck herrscht, da lässt sich vielleicht noch mehr davon erhaschen. Also legte sich unser Held die Schlange um den Hals. Dort wiederum erinnerte sich das Tier, wofür es eigentlich auf der Welt ist und würgte zu. Ende Gelände. Schicht im Schacht.
Es geht uns einfach zu gut. Unsere Vollkaskomentalität. Alles muss sicher sein. Kein Risiko nirgendwo und auch kein Fun. Da hat einer ein Büro in der höchsten Etage eines Komplexes, da kann ihm nichts passieren. Das Glas ist bruchsicher. Oder? Ein weiterer Anwärter auf den Darwinpreis war sich dessen sicher, so sicher, dass er es ausprobieren wollte. Das Glas war nicht bruchsicher und das Büro ist wieder zu haben. Wenigstens war er einmal ganz oben. Sicher kann man nie genug sein. Man kann immer noch sicherer sein. Ein anderer Anwärter wollte sicher sein, dass ihn keiner abstechen kann bei einem plötzlichen Überfall auf der Straße und kaufte sich eine stichfeste Jacke, messerstichfeste. Aber wie kann man nun sicher sein, dass der Stichfeste-Jacken-Verkäufer einen nicht nach Stich und Faden betrügt? Indem man sich selber sticht. Nun, Sie vermuten es: Der Verkäufer war ein Betrüger und der Käufer im Großen und Ganzen ein Depp – ein ehemaliger Depp.
Dieser ständige Kampf ums Dasein, am Morgen aufzustehen und nicht zu wissen, ob man sich abends irgendwo wieder hinlegen kann oder untertags bereits gelegt wurde und zwar für immer – dieser Kampf ums Überleben findet ständig anderswo statt. Keiner will mir an die Leber. Eigentlich müsste ich ja froh sein, es in einem warmen Sessel und einem beheizten Raum bequem haben zu können, sich diese Gedanken machen zu dürfen, Darwin gleichsam einen guten Mann sein zu lassen. Und dennoch frage ich mich, ob das auf Dauer gut ist fürs psychische Wohlbefinden: dieses spannungsarme, passive Dahinvegetieren, dessen größte Aufregung noch das Fernsehprogramm oder eine zu spät gekommener Zug darstellt. Gehört es nicht einfach zur menschlichen Existenz, tödlichen Gefahren zu trotzen, mutig Gegner niederzuringen, der bedrohlichen Umwelt Herr zu werden und dann abends heimzukommen, sich ein Bierchen zu öffnen und zu schmecken, wie das ganz anders schmeckt: herber, härter, herrlicher. Ah.
In Südasien gibt es die Sandrasselotter, die sich den Ruf der gefährlichsten Schlange der Welt erbissen hat, weil die meisten Menschen, die an Schlangenbissen sterben, an Bissen der Sanrasselotter sterben – ungefähr ein Viertel. Die Sandrasselotter hält sich dazu bevorzugt in der Nähe menschlicher Siedlungen auf. Klar, wenn sie Scheu vorm Menschen hätte, könnte sie nicht so viele erwischen, da muss man ran ans Opfer. Was sie jetzt so toll an diesen Siedlungen findet, darüber kann man spekulieren. Zum Fressen gern hat sie Mäuse und Frösche und so weiter, die kommen halt auch gern in unsere Nähe, weil wir so gern Essen wegwerfen, das holen sich dann die Mäuse und diese Mäuse holen sich dann die Sandrasselottern, aber für diese kleinen Mäuse haben die Schlangen viel zu viel Gift, das heben sie sich für die Menschen auf, die sie beim Mäuseholen im Garten stören. Da wird dann einmal gerasselt mit dem Schwanz und wenn der Mensch sich daraufhin nicht zurückzieht, dann wird er gejagt bis hinein ins Wohnzimmer oder ins Bad, wo er sich einschließt. Und wenn er dann rauskommt, weil er denkt, die Luft sei rein, dann lauert sie in der Sofaritze, wo sie abends zum Einsetzen der Tatortmelodie zubeißen kann. Sauber. Und beeindruckend diese Hartnäckigkeit, genährt von einem gesunden Menschenhass.
Darin wird sie eigentlich nur noch von der schwarzen Mamba übertroffen, die gar nicht schwarz ist oder schwarz heißt, weil sie so aussieht oder nur in der Nacht. Wenn man sichs mit der mal verscherzt hat, dann hat man ordentlich ausgescherzt: Dieses Biest ist nämlich schneller als jeder von uns zu Fuß. Todesmutig beißt sie sich in den eigenen Schwanz und bildet so einen Todesring, als der sie einen Berg hinabrollen und einen dann packen kann. Also am besten bergauf fliehen, wenns denn noch nötig erscheint. Ob das stimmt, weiß man nicht, gibt keinen, der davon erzählen könnte. Die Mamba hats übrigens nicht so mit den menschlichen Siedlungen, was nur auf den ersten Blick ein Vorteil ist, denn ohne menschliche Siedlung ist auch kein Badezimmer in der Nähe, in das man sich schnell einschließen kann, bis die Luft wieder rein ist.
Was in Köln mal passiert ist: Da lebte eine Frau, die hatte auf einmal keinen Lust mehr auf ihren Lebensgefährten. Der war ihr zu launisch, exzentrisch oder einfach zu blöd. Kann auch sein, dass ihre Gefühle nicht mehr so waren. Egal, jedenfalls schmeißt sie ihn aus ihrer Wohnung und bekommt ein paar Tage später dafür ein diskretes Paket ohne Absender mit der Post geliefert. So blöd war sie nicht, dass sie es geöffnet hätte. Sie ist damit zur Polizei gegangen und hat dem freundlichen, jungen Beamten, der ihr gleich ein bisschen sympathisch war und umgekehrt vielleicht auch, was von diesem ehemaligen Typen erzählt und dass der spinne. Und der junge Beamte hat dann mit ein bisschen „Mhm“ und „Aha“ das Paket entgegen genommen; das hat ihm nichts ausgemacht, könnten ja in einem diskreten Paket ganz andere Sachen verschickt worden sein. Die Frau ist heim, der Polizist hat das Paket auf die Heizung gestellt und beinahe vergessen. Erst Stunden später hat ers wieder entdeckt und einen Kollegen geholt und mit dem zusammen geöffnet. Darin war – wer hätts gedacht – eine äußerst schlecht gelaunte olivgrüne Schwarze Mamba. Der Kollege hat schnell seine Dienstwaffe zur Hand gehabt, um sie innerhalb geschlossener Räume in Gebrauch zu setzen. Wies ausgegangen ist, weiß ich nicht, in Köln gibts aber noch Polizei, also muss zumindest einer die Mamba-Attacke überlebt haben. Der hat sich dann vermehrt und heute sind wieder Millionen von Polizisten weltweit oder zumindest in Köln unterwegs. Gott sei Dank.
Aber das ist alles noch nichts gegen die wirklich gefährlichen Tiere...
Millionen von Todesopfern hat allein... Nun, was ist das gefährlichste Tier der Welt? Eine Schlange? Ein Hai? Ein Löwe? Gar der Mensch? Nein. Falsch geraten. Viel kleiner: Es ist eine Mücke: Anopheles. Stichwort Malaria. Millionen. Harter Fakt. Oder? Beeindruckend, gerade in einem bequemen Sessel. Da heben wir doch mal die Augenbrauen.
Frohe Weihnachtszeit zusammen.

3. Dezember 2017

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