Weil es für dich gut klingt

 

Ein Mißverständnis
von Willibald Spatz

 

 

 

 

 

 

 

Personen:

 

Der Herr Direktor

Der Karli

Der Luggi

Die Susanne

Die Kontrolleurin

Der Sicherheitsbeamte

 

 

 

 

 

 

 

1. Raus ins Freie

 

(Der Herr Direktor, hinter einem Schreibtisch, unterschreibt ein Papier. Der Karli sitzt davor, ein bleiches Grinsen im Gesicht.)

 

Direktor: So, das war’s. (Gibt das Papier heraus.)

Karli: Danke.

Direktor: Danke Ihnen. – Schauen Sie mal wieder rein.

Karli: Mach ich.

Direktor: So sehr ich meinen Beruf liebe, so sehr hasse ich Augenblicke wie diesen.

Karli: Ich verstehe.

Direktor: Sie verstehen? Wunderbar.

Karli: Wir sind alle Menschen.

Direktor: Richtig.

Karli: Ich geh dann.

Direktor: Ein schönes Leben. Tschüs. – Warten Sie!

Karli: Ja?

Direktor: (Nimmt einen Stoffhasen vom Schreibtisch und gibt ihn Karli.) Für Sie. Ein kleiner Trost.

Karli: Das ist rührend. Das macht sonst niemand.

Direktor: Ich weiß. Denken Sie an uns gelegentlich.

Karli: Mach ich. Es war eine schöne Zeit. Auf Wiedersehen.

Direktor: Für uns auch. Good bye.

(Karli ab. Der Direktor öffnet eine Schreibtischschublade und schiebt ein großes Stück Schokolade in den Mund. Es klopft.)

Direktor: Wie bitte?

Karli: (Kommt herein.) Entschuldigung. Aber ich lese gerade (Liest aus dem Papier.) „...immer zu unserer vollsten Zufriedenheit...“ und hier „...sehr geehrte Damen, sehr geehrter Herr...“ oder hier, noch besser „...tut es uns mehr weh, das finale Wort zu sagen...“ Nun?

Direktor: Ja?

Karli: Das ist doch kein Problem.

Direktor: Ja wunderbar.

Karli: Ich kann bleiben. Ich meine, Sie haben damit angefangen.

Direktor: Sie verstehen nicht.

Karli: Was?

Direktor: Sie sind – jung – talentiert – ehrgeizig. Unser Unternehmen ist ein Gefängnis. Sie sind geboren, um nach den Sternen zu greifen, ich, um sie Ihnen zu zeigen.

Karli: So?

Direktor: Ja.

Karli: Mir mehr so die inneren Werte wichtig. (Der Direktor lacht.) Gut, habe verstanden. Ich gehe dann.

Direktor: Bitte.

Karli: (Langsam zur Tür.) Alles Gute.

Direktor: Ja.

(Karli geht raus.)

Direktor: Verrückt.

(Karli kommt hereingestürmt.)

Karli: Fräulein Rosbacher.

Direktor: Wie bitte?

Karli: Ihre Frau weiß das nicht, aber vielleicht interessiert sie es. Vielleicht kommen wir so zusammen.

Direktor: Ich warne Sie, ich verspreche Ihnen keine frohe Minute mehr im Leben.

Karli: Und ich werde dahin lange schon genug gelacht haben.

Direktor: Hören Sie. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Das müssen Sie einsehen. Wir können uns gerne außerhalb treffen und ich bezahle. Suchen Sie sich einfach was aus. Niemand von uns ist perfekt. Stellen Sie sich nur vor, wie Sie handeln würden an meiner Stelle.

Karli: Auch wieder wahr.

Direktor: Ehrlich – das hier ist für mich Urlaub, Dampfbad und so weiter. Wenn’s mein Körper hergäbe, verbrächte ich 24 Stunden bei der Arbeit.

Karli: Auf der Arbeit.

Direktor: Was meinen Sie?

Karli: Es heißt richtig: auf der Arbeit.

Direktor: Nein, mein Freund, es heißt bei der Arbeit oder in der Arbeit. Das kommt noch von früher, als noch so viel Arbeit da war, daß man gar nie da rauf kam. (Lacht laut.)

Karli: Nicht wahr.

Direktor: Ja, wahrscheinlich haben Sie recht, ich sollte gehen. Bitte setzen sie sich.

Karli: Nein, nein, bleiben Sie sitzen, ich sehe das jetzt schon ein.

Direktor: Sie haben mir die Augen geöffnet, mein Freund.

Karli: Kein Problem. Danke. Trotzdem sollten Sie noch eine Nacht darüber schlafen.

Direktor: Eigentlich ist nur ein Tag ohne Erkenntnis ein verlorener. – Danke.

Karli: Ich gehe dann. Sie haben meine Nummer, wenn was ist. (Ab.)

Direktor: Bis bald, Scheißdepp.

 

 

2. Zehn Bier

 

(Karli und Luggi an einer Bar. Musik. Sie rauchen und trinken.)

 

Karli: Das wird gut.

Luggi: Ja, ja.

Karli: Das wird so gut.

Luggi: Ja.

Karli: Ich muß mal schnell wo hin. (Ab.)

Luggi: So, so. (Trinkt sein Bier aus, schnell, und einen Schluck aus Karlis, zündet eine von dessen Zigaretten an, durchwühlt dessen Jacke, holt den Geldbeutel raus, steckt ihn aber enttäuscht zurück, als er nur einen Schein darin sieht.)

Karli: (Im Zurückkommen.) Weißt du, ich habe viele Ideen, die muß ich umsetzen, habe jetzt die Zeit dafür. (Sieht Luggi aus seinem Bier trinken.) Ich muß irgendwie nur noch ein paar Leute finden.

Luggi: Woher willst du das Geld nehmen?

Karli: Das ist kein Problem. Ich erkläre denen meinen Plan. Das muß funktionieren. – Welches war mein Bier?

Luggi: (Spuckt hinein.) Mußt dir ein neues bestellen.

Karli: Ich habe die Texte fertig, teilweise im Kopf. Willst du sie hören?

Luggi: Nein, nicht nötig.

Karli: Zigarette?

Luggi: Bitte.

Karli: Sind eh meine.

Luggi: Nimm ruhig.

Karli: (Zündet an und raucht.) Das wird gut.

Luggi: Ja.

Karli: Das wird sehr gut.

Luggi: (Hält das Bierglas hoch.) Auch noch eins?

Karli: Gern.

 

 

3. Oh Susanne

 

(Karli angetrunken im Zug. Das Abteil betritt Susanne, die sichtlich keinen ihrer besseren Tage erlebt, wenn sie die nicht alle sowieso schon hinter sich hat. Sie setzt sich ihm schräg gegenüber und schließt die Augen. Sie darf, wenn sie spricht, mit schwäbischem Dialekt reden. Die Kontrolleurin kommt herein.)

 

Kontrolleurin: Die Fahrscheine, bitte. Guten Abend.

Karli: Bitte.

Kontrolleurin: Alles in Ordnung. Danke.

Karli: Danke auch.

Kontrolleurin: Gute Fahrt weiterhin. Danke.

Karli: Ebenfalls und schöne Feiertage.

Kontrolleurin: Danke. – Und bei Ihnen?

Susanne: Das ist alles, was ich habe.

Kontrolleurin: Dann wollen wir mal sehen. – So, so. Österreichische Bundesbahn, 15. November. So, so. Frau, das ist über einen Monat her!

Susanne: Ich weiß, aber die haben gesagt, ich komme so nicht weiter, aber ich brauche eine Fahrkarte, habe ich gesagt, sonst komme ich nicht weiter, und dann haben sie mir die gegeben, und ich habe auch gleich gefragt, aber die haben gesagt, das paßt schon, damit kommen sie durch. – Na, wenn das stimmt. – Das stimmt schon, gute Frau. Da brauchen Sie sich nicht künstlich aufzuregen. – Wer regt sich da künstlich auf? Ich rege mich doch nicht künstlich auf. Wenn sich jemand künstlich aufregt, dann seid ihr das.

Kontrolleurin: Danke.

Susanne: Dann ist das jetzt in Ordnung? Dann kann ich jetzt weiterfahren?

Kontrolleurin: Ja.

Susanne: Dann paßt’s ja. (Die Kontrolleurin ab ins nächste Abteil. Zu Karli.) Fahre nach Hause.

Karli: Ach so.

(Die Kontrolleurin kommt zurück mit dem Sicherheitsbeamten.)

Sicherheitsbeamter: Die da? (Grinst.)

Kontrolleurin: Genau.

Susanne: Paßt was nicht?

Sicherheitsbeamter: Kann ich mal Ihren Fahrausweis sehen?

Susanne: Bitte.

Sicherheitsbeamter: 15. November. Das ist über einen Monat her, das wissen Sie schon?

Susanne: Das weiß ich, sicher, aber das ist alles, was die mir gegeben haben.

Sicherheitsbeamter: Kommen Sie aus Österreich?

Susanne: Nein, deswegen habe ich mich auch gewundert, aber die haben gesagt, damit komme ich durch. Ist das schlimm?

Kontrolleurin: Nein, nein.

Sicherheitsbeamter: Wo wollen Sie hin?

Susanne: Nach Hause.

Kontrolleurin: (Lacht.) Ja, das wollen wir alle.

Sicherheitsbeamter: (Lacht.) Dann machen wir doch gleich Feierabend.

Susanne: Machen wir doch gleich Feierabend.

Sicherheitsbeamter: Kann ich mal Ihren Ausweis sehen?

Susanne: Moment. (Durchsucht ihre Jackentaschen.) Ich habe ihn gleich. – Das gibt’s doch nicht.

Sicherheitsbeamter: Wir haben Zeit.

Kontrolleurin: Bis Feierabend ist.

Susanne: Bis Feierabend ist. (Lacht.) Hier bitte, hier ist es.

Sicherheitsbeamter: So, so.

Susanne: Was ist? Paßt was nicht?

Sicherheitsbeamter: Nein, nein, alles in Ordnung. (Gibt die Papiere der Kontrolleurin.)

Susanne: Dann kann ich jetzt weiterfahren?

Kontrolleurin: Freilich, bei uns ist der Kunde König. (Ab.)

Susanne: Hey, was will die mit meiner Fahrkarte und meinem Ausweis? Die brauche ich.

Sicherheitsbeamter: Keine Sorge, reine Routine. (Breites Grinsen.)

Susanne: Dann kann ich also in Ruhe nach Hause fahren?

Sicherheitsbeamter: Können Sie, ganz sicher.

(Schweigen. Plötzlich fängt Susanne an zu weinen, der Sicherheitsbeamte weiß auf einmal nicht mehr, wohin mit seinem Grinsen. Trotzdem dauert es noch eine Weile, bis die Kontrolleurin zurückkommt.)

Kontrolleurin: So, das ist für Sie. (Übergibt Susanne einen Stapel Papier. Zum Sicherheitsbeamten.) Was ist hier passiert?

Sicherheitsbeamter: Ich habe gar nichts gemacht.

Kontrolleurin: Gut. Dann sind wir hier fertig.

Susanne: 80 Euro. Aber ich habe überhaupt kein Geld.

Kontrolleurin: Tut mit leid, aber so sind die Regeln; ich habe sie nicht gemacht.

Karli: (Leise.) Es gibt keine Zeugen. Sie können heute ein Auge zudrücken.

Sicherheitsbeamter: Wissen Sie, guter Mann, da gäbe es immer jemanden. Da können wir keine Ausnahme machen. So leid es mir tut. Das müssen Sie einsehen.

Kontrolleurin: Und bei Ihnen auch alles klar?

Susanne: Ja, schon gut. Schöne Feiertage.

Kontrolleurin & Sicherheitsbeamter: (Gemeinsam.) Schöne Feiertage. (Ab kopfschüttelnd.)

(Karli bietet ihren letzten Tränen einen Stoffhasen.)

Karli: Ein kleiner Trost.

Susanne: Danke.

Karli: Und? Auch so auf dem Weg nach Hause? Allein?

Susanne: Ja, aber ich habe einen Freund.

Karli: Das habe ich gar nicht gefragt.

Susanne: Das ist immer dasselbe.

Karli: Nein, bei mir nicht, ich habe überhaupt kein Interesse.

Susanne: Wie kein Interesse?

Karli: Ja, was weiß ich? Ich bin angesoffen und müde und will eigentlich nur in mein Bett.

Susanne: Bist du schwul?

Karli: Ich? Schwul? Hör mal. Da gibt’s ganz andere Geschichten zu erzählen.

Susanne: Wieso habt ihr Männer nur immer so Probleme mit dem Schwulsein?

Karli: Ich habe doch überhaupt keine Probleme. Viele meiner besten Freunde sind schwul, und ich rede auch darüber. Ich gehe mit denen auch überall hin.

Susanne: So?

Karli: Ja, ist so. (Pause.) Schlimme beide, diese.

Susanne: Ja, schlimme. Früher hätte es das nicht gegeben.

Karli: Was ist bloß los heute, wenn es das früher nicht gegeben hätte?

Susanne: Ja, was? Das sind doch die Menschen heute, die ganz anders sind. Irgendwie kein Herz mehr, nur noch Kommerz, Kommerz.

Karli: Genau.

Susanne: Irgendwie mehr kein Herz.

Karli: Was?

Susanne: Mehr irgendwie kein Herz.

Karli: Wie bitte?

Susanne: Ja, ich versuch’s irgendwie so, daß es sich auf Kommerz reimt.

Karli: Ach so. Ja klar.  – Mehr kein irgendwie Herz. Auch blöd.

Susanne: Geht nicht.

Karli: Scheinbar nicht.

Susanne: Auch egal.

Karli: Es muß doch zwischen jeder Hand und jedem Kopf noch ein Herz als Mittler sein, sonst – wo kommen wir denn dann hin?

Susanne: Ja, wohin?

Karli: Aber es ist ja egal, was man sagt, es hört doch keiner.

Susanne: Das stimmt gar nicht.

Karli: Nein?

Susanne: Gerade wir müssen was tun, gerade bei uns fängt es an.

Karli: Ja?

Susanne: Wann hast du morgen aus?

Karli: Was?

Susanne: Ich meine, ich habe - Zeit morgen, ich kann dich mal von der Arbeit abholen.

Karli: Das trifft sich gut, das heißt schlecht, ich habe nämlich keine mehr.

Susanne: Ehrlich? Wie das?

Karli: Ja, was weiß ich? Auf einmal hieß es, die brauchen mich nicht mehr.

Susanne: Das kann nicht sein.

Karli: Doch, aber das macht nichts. Ich habe nämlich einen Plan.

Susanne: Ich heiße Susanne.

 

 

4. Im Schatten großer Ereignisse

 

(Ein Tisch mit leergegessenen Tellern und Schüsseln. Karli, Luggi und Susanne. Karli erhebt sich und sein Glas.)

 

Karli: Liebe Susanne, lieber Freund Luggi.

(Die beiden schütteln sich die Hände.)

Luggi: Sehr angenehm.

Susanne: Auch nett.

Karli: Fragt ihr euch sicher schon eine Zeit, was ihr hier sollt mit dem ganzen Essen von mir, der sicher nichts zu feiern hat: Job weg und auch keine Verlobung. Fragt ihr euch. Die Antwort Doppelpunkt. Das Leben geht weiter. Ja, das tut meines auch und ich feiere nicht, höchstens mit, sagt ihr. Zu Recht. Und dennoch ist da ein Unterschied: das Irgendwie. Ein bekannter Mann von mir und guter Freund hat einmal gesagt: „Nur ein guter Tag ist einer mit einer Erkenntnis.“

Susanne: (Zu Luggi.) Weißt du, wo das Klo hier ist?

Karli: Den Gang hinter und dann die letzte links.

Susanne: (Steht auf. Zu Luggi.) Ich schrei dann, wenn ich mich verlaufen habe. (Ab.)

Luggi: Woher hast du die denn?

Karli: Bekannte von mir.

Luggi: Die hat doch ein Alkoholproblem.

Karli: Wie bitte?

Luggi: Die hat doch ein Alkoholproblem.

Karli: Das geht uns nichts an.

Luggi: Mich sowieso nicht.

Karli: Aber gut, daß du’s gesagt hast.

Luggi: Stehst auf sie?

Karli: Sie ist eine Bekannte.

Luggi: Könnte sich lohnen, wenn man sie trocken brächte.

(Susanne kommt zurück.)

Susanne: Rede schon aus?

Luggi: Geschäft schon beendet?

Susanne: Noch gar nicht angefangen; habe mir gedacht, ich warte, bis es dringend wird.

Luggi: Ach so.

Karli: Leute, ich habe eine Vision, einen Plan.

Luggi: Weißt du jetzt, wie du an Geld kommst?

Karli: Noch nicht genau, aber die Richtung stimmt.

Luggi: Du hast Nerven, Mann. (Schenkt sich Wein nach.)

Susanne: Das mag ich an ihm.

Luggi: Was?

Susanne: Sein leichtes Leben, ein Tag in den nächsten.

Luggi: Könntest du bei mir noch was erleben.

Susanne: Wirklich?

Karli: Na sicher. – Entschuldigung, Leute, aber es war mir wichtig, das zu sagen und ich habe einfach keine Lust darauf, mir das Ganze schon wieder zerreden zu lassen.

Luggi: Was denn? Daß du vorhast, eine Band zu produzieren, damit groß rauszukommen und außerdem nicht nur das Niveau der deutschen Popmusik und die Seele der Menschen, sondern auch deinen Arsch respektive dein Bankkonto an Land zu retten?

Karli: Entschuldigung, aber das ist natürlich nicht alles, für das ich diesen Aufwand hier treibe.

Luggi: Du hast die Texte fertig.

Karli: Entschuldigung, das ist nicht alles, ich habe vielleicht die Leute – außerdem solltest du schon lange wissen, daß ich die Texte fertig habe.

Luggi: Du brauchst dich nicht dauernd zu entschuldigen.

Karli: Entschuldigung, ihr freßt euch bei mir voll – tut mir leid, jetzt habe ich mich schon wieder entschuldigt.

Luggi: Ist gut. Ich zahle dafür, ich zahle immer. Ich will keine Schulden, die einem jahrelang vorgehalten werden.

Karli: Nein, laß es.

Susanne: Weißt du, Karli, ein bißchen verstehe ich deinen Kumpel schon: Was willst du uns eigentlich sagen?

Luggi: (Hört Signale wachsen.) Vielleicht ist das im Moment viel für ihn. Keine Arbeit, keine Perspektive, niemand, der ihn liebt oder dem er sich anvertrauen kann. Das Beste ist wahrscheinlich Einsamkeit, damit die Gedanken in Ruhe Taten werden können.

Karli: Nein, bitte nicht. Ich will euch nicht vertreiben. Bleibt, solange ihr könnt. Du hast zum Teil Recht, Luggi, diese Sachen haben mit meinen Nerven gemacht, was sie wollten.

Luggi: Ich weiß genau, was du brauchst. (Zu Susanne.) Wie bist du da?

Susanne: Diese Fixer haben mich beim Schwarzfahren rausgezogen, jetzt wieder zu Fuß.

Luggi: Ich kann dich mitnehmen.

Susanne: Ehrlich?

Luggi: Ich habe ein Umweltabo. Da kann man nach neun Uhr jemanden mitnehmen, bis zu vier Personen, also zum Beispiel ein Ehepaar mit drei Kindern. Ideal.

Susanne: Das ist voll großzügig.

Luggi: Lohnen würde es sich auch bei zwei, die sehr nahe zusammen wohnen, denn es ist auch übertragbar.

Susanne: (Erregt.) Übertragbar?

Luggi: Wir gehen wohl besser jetzt.

Susanne: Ich muß vorher noch mal dringend aufs Klo. (Ab.)

Luggi: Keine schlechte Wahl, deine Bekanntschaft.

Karli: Was?

Luggi: Sie ist nicht besonders schlau, aber sie hat was.

Karli: Ich habe gerade nicht so zugehört.

Luggi: War nicht so wichtig.

Karli: Ich glaube, ich hatte gerade schon wieder eine Idee.

Luggi: Weißt du, was dein eigentliches Problem ist?

Karli: Nein.

Luggi: Deine Ideen sind nämlich gut. Sie funktionieren nur nicht.

Karli: Was soll ich machen?

Luggi: Weil du kein Gespür hast für die Menschen. Das ist alles so vage. Man braucht soviel Geduld mit dir. Die Zeit hat keiner mehr mit der jetzigen Lage. Mach dich klarer und hilf dir selbst. Raus aus dem Egozentrum!

Karli: Du meinst, ich sollte – das stimmt vielleicht.

Susanne: (Kommt zurück, schlecht nachgeschminkt.) Gehen wir?

Luggi: Niemand wartet auf dich. (Zieht eine rote Samtjacke an.) Wir gehen. (Ab mit Susanne.)

Karli: (Schenkt sich Wein nach.) So, so.

 

 

5. Ein Treffen höchster Ebenen

 

(Freudig lächelnd begrüßt der Direktor Karli in seinem Büro.)

 

Karli: Guten Tag. Wir kennen uns.

Direktor: Natürlich kennen wir uns, Herr Morschhäuser.

Karli: Nursch.

Direktor: Wie bitte?

Karli: Nurschhäuser ist mein Name.

Direktor: Oh, entschuldigen Sie, wie konnte ich nur – aber ich hatte vorhin einen Herrn - Mosbacher in der Leistung. Tut mir sehr leid. Schokolade? (Bietet ihm einen Riegel an.)

Karli: Nein, danke. Nun, um es kurz zu machen –

Direktor: Ich hätte nicht gedacht, daß wir uns nach so kurzer Zeit wiedersehen. Sie sehen hervorragend aus.

Karli: Danke. – Ich habe versucht, Ihnen grob zu skizzieren, worum es geht.

Direktor: Das habe ich gelesen, das ist einen phantastische Idee. Ich bin ganz begeistert.

Karli: Wie Sie sich vor- Wie sie sich vielleicht vorstellen können, gibt es da noch ein kleines Problem. Aber nicht bloß dieses wegen, auch des guten Rats wende ich mich an Sie und Ihr Unternehmen.

Direktor: Sehr gut. Ich habe schon längst alles durchschaut, mein Freund. Diese Kraft, die in Ihrer Jugend steckt – darf ich sie so nennen? – Ich würde mich am liebsten auf sie stürzen und lecken bis auf den letzten Grund.

Karli: Bitte.

Direktor: Das Geld. Das Geld fehlt Ihnen und ich besitze es und reiche es Ihnen voller Bewunderung wie ich einem Bräutigam meine Tochter zuwerfen würde.

Karli: Ehrlich?

Direktor: Natürlich, war gerade etwas theatralisch, Pardon, aber wir können über einen Kredit reden. Wirft ja auch Profit ab, das Ding. Wirft doch, oder?

Karli: Klar, wirft es.

Direktor: Sehr schön. – Aber nun, denke ich, ist es Zeit, daß ich Ihnen auch einmal eine kleine Freude mache.

Karli: Mir?

Direktor: Na, sehen Sie sonst noch jemanden hier?

Karli: Da haben Sie wieder recht.

Direktor: Nehmen Sie! (Streckt ihm eine Tafel Schokolade entgegen.)

Karli: Für mich?

Direktor: Nehmen Sie!

Karli: Das ist sehr freundlich von Ihnen.

Direktor: Packen Sie’s ruhig gleich aus. Aber vorsichtig.

(Karli packt die Schokolade vorsichtig aus und probiert ein Stück.)

Karli: Mmh. Herbe Sahne. Mag ich.

Direktor: Dacht ich mir doch. Aber wichtiger ist noch die Verpackung.

Karli: Noch wichtiger?

Direktor: Schauen Sie bloß!

Karli: (Betrachtet die Innenseite des Einpackpapiers.) Ui ja!

Direktor: Was sagen Sie dazu?

Karli: Gratulation.

Direktor: Das hätten Sie nicht gedacht.

Karli: Oh, nein.

Direktor: Wissen Sie, was ich studiert habe?

Karli: Nein.

Direktor: Im Nebenfach?

Karli: Hm.

Direktor: Politik. Wissen Sie, dadurch wird man – überlegter. Man liest mehr nach, man läßt seinen Gedanken mehr Zeit. Und dann eines Tages – vor zwei Wochen – war ich soweit, daß ich sagte, bauen wir aus solidem Holz, war alles schon lange so weit. – Überhaupt auch so eine Sache, auf die man erst stoßen muß und deswegen dürfen Sie auch nicht böse sein, wenn ich Sie Ihnen jetzt sage. – Die Dinge sind meist schon so, wie wir sie uns wünschen, wir müssen es nur noch erkennen.

Karli: (Vor allem mit der Schokolade beschäftigt.) Mmh.

Direktor: Alle Menschen sind frei, sie müssen es nur begreifen.

Karli: Mmh.

Direktor: Alle Vögel sind – ach, egal, Sie verstehen, was ich sagen will?

Karli: Logisch, und deswegen heiraten Sie Fräulein Rosbacher. Gratuliere. (Fertig mit der Schokolade.)

Direktor: Genau, und Sie sind eingeladen und bringen Sie Ihr Herzstück mit.

Karli: Herzstück?

Direktor: Dame! – Sie sind doch –

Karli: (Nach kurzem Überlegen.) Ja.

Direktor: Sehr gut. Wissen Sie, wovor ich die meiste Angst habe?

Karli: Tod? Sterben?

Direktor: Nein! Die Asexualität.

Karli: Ah, verstehe.

Direktor: Diese Typen, die sich offensichtlich für nichts interessieren, also auch nicht schwul oder Kinderpornos, nein, einfach null, also ob deren Ofen aus wäre, die sind mir unheimlich, da ziehe ich mich gleich freiwillig zurück, da weiß man nie, ganz im Gegenteil zu den anderen – Sie werden’s erraten.

Karli: Klar.

Direktor: Die, mit denen man, - Sie hören’s, ich sage bewußt Mann und nicht Frau – mit denen Mann auch was saufen kann und bei denen auch um vier Uhr früh – aber Sie wissen’s – wir verstehen und sehen uns.

Karli: Machen wir.

Direktor: Arreviderci.

Karli: Adieu. (Ab.)

Direktor: (Allein am Schreibtisch.) Wenn ich nur wüßte, wie ich den einschätzen soll. Pss. Pss.

 

 

6. Tiefe Blicke

 

(Karli allein.)

 

Karli: Wie sehe ich aus? – Wie, findest du, sehe ich aus? Gut? Nicht wahr, ich sehe gut aus, Susanne? Weißt du warum? Ich weiß nicht, ob du das siehst, ob dir das auffällt, aber das, was glänzt an mir, ist nicht Gold – noch nicht – nein, es ist der Erfolg – nein, es ist die Sonne des Erfolgs, die an meinem Horizont aufsteht und sich in meinem Antlitz – hm – Gesicht spiegelt. Du lachst, ich weiß, daß du lachst, ihr lacht viel über mich, du und mein/dein Freund Luggi. Das dürft ihr. Wir leben in einem freien Land. Solange ich nichts davon erfahre, ist es mir egal wie sonst noch was.

Susanne, ich kann nicht in dein Herz schauen, und darum geht es auch nicht, noch nicht. Die Sache mit dir und mit Luggi – der Luggi ist mein Freund, und die Freundschaft ist mir heilig, eure Sache ist mir heilig. Doch darum geht es auch nicht.

Susanne, die Nacht, als ich dich zum ersten Mal sah – traf, da dachte ich, die – die schämt sich nicht, wenn du - in dem Fall ich – neben dir gehst, also ich gehe und werde gesehen neben dir und du auf jeden Fall schämst dich nicht - ich auch nicht – um Gottes Willen.
(Er holt einen Kassettenrekorder hervor, drückt auf >STOP<, spult zurück und hört sich den Anfang der eben gehaltenen Rede an. Ziemlich schnell haut er auf den Rekorder, der nach dem zweiten Schlag aus geht.) Alter Scheißdreck.

(Es klingelt. Karli öffnet und empfängt Susanne.)

Susanne: Hallo.

Karli: Hallo. Kann ich dir was anbieten.

Susanne: Hast du Alkoholisches da?

Karli: Wodka?

Susanne: Wodka ist super. (Karli bringt, Susanne trinkt.) Und alles gut?

Karli: Gut ja.

Susanne: Bei mir auch.

Karli: Und mit Luggi alles in Ordnung?

Susanne: Alles in Ordnung? Was heißt schon alles in Ordnung?

Karli: Was heißt das schon? Alles in Ordnung.

Susanne: Und bei dir?

Karli: Alles gut. Ja.

Susanne: Sehr schön. Bei uns auch.

Karli: Prima. – Darf ich dir eine Frage stellen? (Susanne trinkt.) Das sollst du nicht falsch verstehen. (Pause.) Ich meine, ich kann mir viel einbilden.

Susanne: Gibst du mir einen Kuß?

Karli: Ich habe dich sehr umständlich eingeladen. (Susanne trinkt.) Hältst du es für eine Schwäche bei einem Mann, wenn er an seinen Freundschaften festhält, obwohl sie wahrscheinlich der Stein am Bein sind, der den weiteren Aufstieg schwer bis fast unmöglich macht zur Sonne?

(Sie schaut ihn sehr ernst an.) Was hat denn der Luggi je für mich getan? Er hat mich immer nur ausgenutzt, die linke Sau! Wenn er nicht wäre, säße ich ganz woanders. Selbst wir zwei würden schon lang ficken.

Susanne: Karli.

Karli: Ja?

Susanne: Darf ich in dein Bett?

Karli: Olé.

Susanne: Vorher muß ich kurz noch mal in dein Bad. (Sie stolpert in die Richtung.)

Karli: Olé.

 

 

7. Heim mit Sekt

 

(Susanne und Karli auf dem Heimweg von der Hochzeit des Direktors. Sie hat eine Sektflasche, er in der roten Samtjacke Luggis mit deutlichen Soßenflecken.)

 

Susanne: Schöne Braut.

Karli: Schöne Braut.

Susanne: Gut ausgesucht.

Karli: Ich habe sie schon vorher gekannt.

Susanne: Du Meister der Selbstbeherrschung, du.

Karli: (Blick zu ihr.) Ich kenne noch eine schöne Braut.

Susanne: Wer denn?

(Aus dem Dunkel tritt die Kontrolleurin in einer grauen Uniform mit einer Sammelbüchse an sie heran.)

Kontrolleurin: Gute Leute, habt ihr ein Herz für die wirklich notleidenden Menschen dieser Tage? Ich bin sicher, es wird Ihnen vergolten, irgendwann, irgendwie, irgendwo. Wer weiß?

Susanne: Frau, so gut wie wir aussehen geht’s uns leider oder vielleicht zum Glück nicht.

Karli: Ha!

Kontrolleurin: Was?

Karli: Ha!

Susanne: Was ist denn?

Karli: Das ist sie.

Kontrolleurin: Fehlt Ihnen was?

Karli: Mir nicht. Aber Ihnen bald.

Kontrolleurin: Was wollen Sie?

Susanne: Wer ist das?

Karli: Ja, du Dummerle, erkennst du sie nicht?

Susanne: (Geht so nahe an das Gesicht der Kontrolleurin, daß diese das Gesicht wegen des Alkoholgeruchs verziehen muß.) Nö.

Karli: Die Frau Kontrolleurin aus dem Zug.

Susanne: Zug?

Karli: In dem wir uns zum ersten Mal begegnet sind.

Kontrolleurin: Das ist ja rührend.

Karli: Rührend wird es gleich für Sie, besser gesagt für Ihre Knochen.

Susanne: Ach so.

Karli: Die, die dir die saftige Strafe gegeben hat.

Susanne: Ja die.

Karli: Darf ich mal? (Nimmt den Sekt, trinkt daraus.) Sagen Sie Entschuldigung zu meiner Freundin.

Kontrolleurin: Hilfe.

Karli: (Schüttet ihr einen Schluck über die Jacke und gibt den Sekt Susanne zurück.) Na?

Susanne: (Schüttet auch was drüber.) Sag Entschuldigung für die saftige Strafe, die du mir gegeben hast.

Kontrolleurin: Das ist Sachbeschädigung, was Sie da machen.

Susanne: Und das, was du machst, wohl nicht? – Das ist Menschenbeschädigung.

Kontrolleurin: Sie bekommen eine Anzeige.

Karli: (Tritt ihr gegen die Beine, daß sie hinfällt.) Was will sie jetzt machen, die alte Hexe?

Kontrolleurin: Hilfe.

Susanne: (Schüttet noch einmal.) Alte Hexe.

(Karli entreißt ihr die Sammelbüchse, tritt darauf, um so heftiger, als sie nicht kaputtgeht.)

Kontrolleurin: Das ist Diebstahl, was Sie da machen.

Karli: (Wirft die Büchse an die Wand, so daß sie zerbricht und ca. zwei Münzen herausfallen.) Scheißegal ist uns das und weißt du, warum? Weil der Wind jetzt aus einer anderen Richtung weht, weil wir jetzt die entscheidende Stufe hochgestiegen sind und nie wieder Bahn fahren müssen. Tja, was sagst du jetzt? Jetzt hast du keine Macht mehr über uns, alte Hexe. Oder was willst du nun machen? Keine Ausnahme? (Öffnet seine Hose und beginnt, auf sie zu urinieren. Mit einem lauten Schrei tritt sie in die Quelle des Übels und kann entkommen, Karli gekrümmt.)

Susanne: Na, warte nur, der Tag wird kommen, da wendet es sich und dir geht es schlecht. (Hebt drohend die Faust.) Euch allen geht es schlecht, die ihr da oben im Reichtum schmarotzt. Komm mit, mein Lieber. (Berührt ihn falsch.)

Karli: Au, du dumme Kuh.

 

 

8. Auseinandersprache

 

(Luggi und Karli im Zimmer.)

 

Luggi: Ich kann das akzeptieren mit der Frau, das ist in Ordnung, so geht das Spiel und ich spiele es nicht im ersten Jahr, irgendwann werden die Karten neu gegeben.

Karli: Das denkst du, aber verlieren wirst du immer. Das weißt du.

Luggi: Laß mich bitte erst ausreden.

Karli: Laß mich, ich wollte das nur kurz einschmeißen.

Luggi: Ich hab’s zur Kenntnis genommen. Also, was ich sagen wollte. – Moment, ich glaube, ich habe den Faden verloren.

Karli: Und die Frau.

Luggi: Wie?

Karli: Du hattest mir gerade offiziell die Frau überschrieben, als wir stehen blieben.

Luggi: Genau, das war’s, also, nicht ganz genau, aber sagen wir also gut. – Nun, was ich sagen wollte und auch immer noch will, was ich dir unverzeihlich übel nehme, ist das mit der Jacke.

Karli: Ja, das war nicht gut.

Luggi: Nein, das ist echt nicht in Ordnung. Ich meine, ich habe sie geliehen von meinem Cousin und er hat einen Haufen Ärger und glaub nicht, daß mich das nicht berührt, ganz im Gegenteil.

Karli: Meinetwegen, aber meine Religion gebietet es mir zu jeder Mahlzeit zwei Löffel Soße auf meiner Jacke zu verrühren.

Luggi: Ich dachte, du glaubst nicht an Gott.

Karli: Auch das habe ich dir schon mal erklärt, aber du hörst mir ja nicht zu, du hörst mir überhaupt nie zu.

Luggi: Wenn ich das gewußt hätte, wäre ich gar nie dein Freund geworden.

Karli: Freund, Freund. Ich bin vielleicht dein Freund, aber du, du warst niemals meiner.

Luggi: Jetzt ist es auf einmal wieder meine Freundschaft.

Karli: Hör auf, es hat keinen Sinn zu streiten. Es hat sich was verändert. Du kennst die alte Geschichte von dem immer Oberen und den Unteren, dem ewigen Gewinner und den ständigen Verlierern. Das wird dir nicht zum ersten Mal so gehen, daß du eine Frau an den nächsthöheren abgeben mußt. In dem Fall wird sie mir sicher irgendwann auch zu klein beim weiteren Aufstieg und nach unten zurückgereicht. Wenn du solange warten willst, kein Problem.

Luggi: Kann ich jetzt noch nicht sagen, bin schließlich keine Maschine. Muß man absehen.

Karli: Keiner erwartet von dir heute eine Entscheidung.

Luggi: Apropos. Dann ist damit unsere Freundschaft beendet.

Karli: Es wird das Beste sein und außerdem: Was bring ich dir? Ich würde dich sowieso nur ausnutzen und im wichtigen Moment fallen lassen wie einen heißen Stein. Das ist die Realität. Willkommen in meiner Welt.

Luggi: Das mag jetzt womöglich sarkastisch klingen. Ich wünsche dir nichts Schlechtes.

Karli: Ich verstehe das voll und ganz.

Luggi: Und wenn es dir mal warm ums Herz wird, dann denk einfach nicht lang nach, ruf an und wir trinken ein, zwei Bierchen miteinander.

Karli: Du kannst immer noch nein sagen.

Luggi: Ich kann immer noch nein sagen.

Karli: Du bist einer der wenigen da draußen, mit denen man noch offen über so etwas reden kann. Danke.

Luggi: Ich weiß, ich habe nichts zu verlieren.

Karli: Ich schon. Do Swidanja.

 

 

9. Römisches Festmahl

 

(Die Kontrolleurin und der Sicherheitsbeamte liegen als römisches Herrscherpaar auf zwei Eßbetten.)

 

Sicherheitsbeamter: Sklave! Wo bleibt er denn? Was macht er denn? Sklave!

Kontrolleurin: Beruhige dich, er wird schon gleich kommen. Vielleicht muß er noch was „erledigen“. (Macht Anführungszeichen in der Luft.)

Sicherheitsbeamter: Ich mich immer beruhigen. Ich habe keine Lust mehr. Heute spürt er die Rute des Richterstabs. Dagegen kannst du auch nichts ausrichten. – Sklave!

Kontrolleurin: In Wirklichkeit ist es mir egal.

Sicherheitsbeamter: Wenn nur ein Wort nicht gelogen wäre aus deinem Mund, dürfte auch er wieder von meinen Früchten naschen.

(Karli ist als Sklave in eine Tunika gekleidet herangetreten.)

Karli: Der Herr ruft.

Sicherheitsbeamter: Ja – ja – ja.

Karli: Was wünscht der Herr?

Sicherheitsbeamter: Ja – ja – ja – weiß nicht.

Kontrolleurin: Weiß er denn nicht, was für ein Tag heute ist?

Karli: Tag? (Sie flüstert ihm ins Ohr.) Was?

Kontrolleurin: (Flüstert vernehmlich.) Der Namenstag des Kaisers.

Sicherheitsbeamter: Mein Namenstag! – Ein Festmahl. Bring – Dichter – Tänzer – Weiber – Säfte – Pappbecher – was weiß ich?

Karli: (Holt aus seinem Gewand Trauben heraus.) Trauben?

Sicherheitsbeamter: Trauben – Trauben sind super. (Fängt an zu essen und seiner Frau anzubieten.)

Kontrolleurin: Sehr gut.

Karli: Mehr Wünsche?

Sicherheitsbeamter: Hm – dreh dich um.

Karli: Wie?

Sicherheitsbeamter: Umdrehen.

Karli: Also gut. (Tut so.)

Sicherheitsbeamter: Vielleicht die Tunika hoch.

Karli: Bitte nicht, lieber Herrscher.

Sicherheitsbeamter: Namenstag. (Karli gibt nach.) Schau Kaiserin.

Kontrolleurin: Wieso?

Sicherheitsbeamter: Schau doch nur.

Kontrolleurin: D’s  ´st  ´mm´r  d´ss´lbe.

Sicherheitsbeamter: Hoho. (Wirft auf eine Traube auf Karlis Hintern.) Los auch. (Die Kontrolleurin macht widerwillig mit solange, bis beide gleich Spaß an der Sache haben und laut kichern.) Das macht uns Spaß.

Kontrolleurin: Ja.

Sicherheitsbeamter: So, so. (Steht auf und tritt Karli um.)

Kontrolleurin: Au!

Sicherheitsbeamter: Komm her. Das ist auch lustig.

Kontrolleurin: Wirklich? (Berührt Karli leicht mit dem Fuß.)

Sicherheitsbeamter: Nein, du mußt richtig. (Tritt kräftig in den kreischenden Karli.)

Kontrolleurin: So. (Genauso.)

Karli: Bitte hören Sie auf, hohes Herrscherpaar. Ich, also gut, will alles tun, was Sie wollen, nur aufhören müssen Sie, bitte.

Sicherheitsbeamter: Alles?

Karli: Ja, ja.

Sicherheitsbeamter: Es ist nicht viel, sozusagen, was ich will.

Karli: Ja dann.

Sicherheitsbeamter: Nur eine Frage sollst du mir beantworten: Was ist mit dieser Frau? (Deutet auf die Kaiserin.)

Karli: Nichts.

Sicherheitsbeamter: Was soll das heißen?

Karli: Kaiser. Einerseits ja, andrerseits ich weiß es nicht.

Sicherheitsbeamter: Er lügt!

Karli: Nein.

(Der Sicherheitsbeamte prügelt auf Karli ein.)

Kontrolleurin: (Geht dazwischen.) Er hat gar nichts gemacht.

Sicherheitsbeamter: (Zornigen Blicks.) Ihr seid doch alle unter derselben schmutzigen Decke. (Ab.)

Kontrolleurin: Das war knapp, das nächste Mal bist du besser ganz still, sonst liegen wir offen.

Karli: Entschuldigung, ich habe gar nichts gesagt.

Kontrolleurin: Ich kann dir gar nicht böse sein, mein Süßer.

Karli: Will auch wissen, wofür.

Kontrolleurin: Hilfe. Hilfe.

Sicherheitsbeamter: (Kommt hereingestürmt mit einem gefährlich-antiken Greifwerkzeug.) Und das an meinem Namenstag.

 

 

10. Nur ein Traum. Alles.

 

(Susanne und Karli in einem Bett. Er erwacht schreiend wie aus einem Traum.)

 

Susanne: Wie spät ist es?

Karli: Was?

Susanne: Kann ich noch liegen bleiben?

Karli: Nein. Nein.

Susanne: Wieso?

Karli: Ich habe alles falsch gemacht. Wie war ich nur so blind?

Susanne: Blödsinn. Irgendwas sieht man immer.

Karli: Ich muß ganz dringend telefonieren. (Rennt raus.)

Susanne: (Schreit ihm nach.) Du bist verrückt. Das ist zuviel für dich. Wenn du nur eine Sekunde atmen könntest wie ein normaler Mensch, würdest du erkennen, was hier los ist.

Karli: (Kommt zurück. Brüllt.) Wo ist das Telefon? Wach auf, Susanne, ich will reden. Ich will eine menschliche Stimme hören.

Susanne: Ich bin hier.

Karli: Du Sau.

Susanne: Was hast du denn?

Karli: (Prügelt auf die leere Betthälfte.) Steh endlich auf. Verstehst du das nicht? Uns kann keiner helfen. Auch nicht wir selbst. Das versucht dir Luggi einzureden. Susanne? Sag doch was.

Susanne: Luggi ist ein verlorener Alkoholiker. Er hat nicht nur uns auf dem Gewissen. Ich kann dir das schon lang sagen. Ich kenne ihn kurze Zeit besser als du.

Karli: Rühr dich endlich. Du hast gewonnen. (Schlägt wie ein Wahnsinniger auf das Bett ein.) Hörst du nicht? Du hast gewonnen. Du hast alles von mir. Ich geb nach. Die Welt ist jetzt so, wie du es dir wünschst. Nimm doch. Los. Nimm.

Susanne: Hierbinichhierbinichduidiot. Was ich dir sage, zählt nichts. Als du mich nie verstanden hast, konntest du reagieren, weil du was gehört hast, jetzt bist du taub und ich höre zum ersten Mal, daß wir nie dieselbe Sprache gesprochen haben. Komisch. Ob das immer so ist? (Karli hat sich beruhigt und streichelt weinend die Stellen, auf die er gerade noch geschlagen hat, dazu stößt er unartikulierte Laute aus.)

Was? (Sie nimmt ihn in den Arm, schaut ihm in die Augen und kann ihren schwäbischen Dialekt verlieren.) Willst du mir was sagen? (Er vergräbt sein Gesicht im Bett. Sie steht auf.) Ich habe dich jetzt verstanden. (Er blickt entsetzt zu ihr.) War nicht schwer, unabhängig davon, was die anderen Leute sagen, die dummen. Du kannst es sagen. – Na los. – Du wolltest nur hier rein. (Deutet auf ihre Leibesmitte.) Das ist jetzt leichter, wenn’s raus ist, nicht wahr? (Er kniet sich sie umarmend vor sie.)

Hör zu, du kannst dein Leben ändern, gern. Laß mir nur meine Ruhe. Halt mich auf dem Laufenden, vielleicht springe ich wieder mal auf den Zug auf, kann sein. Du weißt ja, wo du mich findest: Immer da, wo du hin willst.

Da gibt’s nichts zu lachen. Leben heißt kaputtmachen und Kaputtmachen kostet. Kein billiges Leben.

Deine Ruhe will ich haben, würde sie auf den Putz hauen wie ein Dutzend Eier. Aber sie ist besser bei dir aufgehoben; du zahlst nichts damit und läßt sie sie trotzdem deinen Luxus nennen. Deine Ruhe möchte ich haben.

(Blick nach unten.) Was ist denn? - Eingeschlafen. (Sie legt ihn aufs Bett und deckt ihn zu.) Das hat dir gut getan nach dem Schock, mal die andere reden zu lassen. Ich kann dir noch ein paar reinholen, aber das ist dir dann auch wieder zuviel. Ich weiß das. Viel mehr wissen das jetzt. Keiner macht dich kleiner. War es das, wovor du Angst hattest, die ganze Zeit?

Wirklich? Süß.

(Sie bläst das Licht aus.)

 

 

11. Tata, Hiob

 

(Morgen. Karli, in seinem Bett, wird geweckt vom Telefon. Schlaftrunken greift er den Hörer und zum zweiten in Susannes leeres Feld.)

 

Karli: Ja. – Guten Morgen. – Kann nicht sein. – So, wie ich’s sage: Kann nicht sein. – Ja, ist gut, ich nehme das auf mich, das sind ein, zwei Anrufe – Guter Mann, nur weil ihr Bankbeamtenidioten unfähig seid. - Das Geld ist da, ich hab’s Schwarz auf Weiß. (Geht auf und ab.) - Meinetwegen, so gut wie Schwarz auf Weiß. Wir sind Ehrenmänner. Da gilt der Handschlag mehr als der abgehackte Finger. (Entdeckt ein Blatt Papier auf dem Boden und hebt es auf.) - Das werden wir sehen. – Ja, sagen Sie ruhig Ihrem Staatsanwalt bescheid. Na shledanou. (Legt den Hörer auf und beschäftigt sich mit dem Papier.)

Luggis Stimme:

Sehr Herr,

damit hast du nicht gerechnet, diese Schrift schnell wieder zu lesen. Oder hast du sie überhaupt schon irgendwo mal gelesen? Ja, ich glaube, mich zu erinnern, damals, als du im Schleißinger eingeschlafen bist, da habe ich dir eine Notiz dagelassen, als ich ging, du sollest meine Biere bezahlen, das war diese Schrift. Falls ich diese Rechnung noch offen habe bei dir, wird es dir unangenehm sein sie einzufordern, denn ich schreiben die, daß deine Frau weg ist.

Warum ich? Nun – damals, als sie aus mir rausging und ich wußte, wohin sie geht, sagte ich zu ihr, daß ich ihr diesen Brief schon mal aufsetzen würde, damit später alles erledigt sei und es schneller gehe, wenn sie es sich noch mal richtig überlegt habe.
Dir mag das jetzt vorkommen wie eine Art kurzzeitige Aufhebung der Gesetze der Schwerkraft. Gut. Gibt’s auch, schließlich ist die erde auch im Weltraum. Oder es tröstet dich, wenn du denkst, daß du einen neuen Stern erreicht hast und die alten gerade wieder an ihre Plätze rutschen.

So oder wie, am besten kann die Betreffende es selbst ausdrücken, wenn sie rausgeht: „Du hast es verdient.“

Dein – Klammer auf – Freund – Klammer zu

Luggi

 

(Karli legt den Brief aufs Bett, versucht kurzzeitlich und vergeblich darauf zu onanieren und wirft ihn zerknüllt ins Eck. Das Telefon klingelt.)

Karli: Hallo. – Nein, heute Abend. – Natürlich haben die was aufgenommen. – Ganz sicher. Gerade ruft ein Idiot von der Bank an, alle Schecks seien geplatzt. Ich zahle den ganzen Scheiß aus der eigene Tasche und das heißt, daß es heute große CD-Präsentation gibt mit Konzert und Band und Weibern und allem. Das ist so sicher wie die – Schwerkraft. – Das interessiert mich nicht. Hören Sie zu, Sie erzählen mir, daß die Musiker, die ich bezahle, keinen Ton aufgenommen haben und mit dem Geld, das ich bezahle, irgendwo, wo’s wahrscheinlich warm ist, sich das Leben schön machen, Sie erzählen mir das am Telefon und erwarten ernsthaft von mir, daß ich nicht laut loslache? – Also gut, dann lache ich nicht. (Legt auf.) Das geht tief. (Lachen der Verzweiflung. Die Türklingel.)

(Schlurfend öffnet er der spendensammelnden Kontrolleurin.) Erschrecken Sie nicht. Sie haben nichts zu befürchten. Ich bin heute unten. Kommen Sie rein. (Sie folgt ihm in den Raum.) Wollen Sie was trinken? (Er hält ihr die Wodkaflasche hin, sie schüttelt den Kopf.) Keine Sorge, ich trinke auch. (Trinkt.) Nichts vergiftet. Nehmen Sie. (Sie nimmt und trinkt vorsichtig.) Gut, gell? Sind Sie eigentlich immer noch so für die Bedürftigen, die Armen? (Sie nickt.) Dann habe ich eine gute Idee, wenn ich darf. – Schlafen Sie mit mir. Wenn Sie den ganzen Weg von hier nach Afrika gehen, werden Sie keinen finden, der mehr verloren hat wie ich. Ich habe verloren, wie nur einer verlieren kann. (Sie zuckt mit den Achseln.) Ausziehen? (Sie deutet ihm an, daß sie telefonieren will, nur einmal, kurz; er läßt sie.) Verstehe. Soziale Verspätung. (Sie grunzt ins Telefon und gibt mysteriöse Klopfgeräusche.) Alles klar jetzt. (Zieht sein Hemd aus, sie gibt ihm verstehen zu warten, holt eine Schere hervor, schneidet die Laken in Streifen und beginnt, ihn ans Bett zu fesseln.) Verstehe. Letzter Fall vor Weihnachten.

(Es klingelt, die Kontrolleurin läßt den Sicherheitsbeamten rein. Sie leeren die volle Sammelbüchse, erwärmen eine Münze mit einem Feuerzeug und drücken sie mit der Schere auf die Brust des laut „Bitte nicht“ -schreienden Karli, dann muß er sie schlucken, Münze für Münze, danach wird er blutig geschlagen. Die Kontrolleurin und der Sicherheitsbeamte gehen raus und lassen den Karli liegen bis zum Ende des Stücks.)

 

30. Dezember 2003

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