Weil es für dich gut klingt

 

Ein Mißverständnis
von Willibald Spatz

 

 

 

 

 

 

 

Personen:

 

Der Herr Direktor

Der Karli

Der Luggi

Die Susanne

Die Kontrolleurin

Der Sicherheitsbeamte

Ein Sänger zum Vortrag der Texte

 

 

 

 

 

 

1. Raus ins Freie

 

(Der Herr Direktor, hinter einem Schreibtisch, unterschreibt ein Papier. Der Karli sitzt davor, ein bleiches Grinsen im Gesicht.)

 

Direktor: So, das war’s. (Gibt das Papier heraus.)

Karli: Danke.

Direktor: Danke Ihnen. – Schauen Sie mal wieder rein.

Karli: Mach ich.

Direktor: So sehr ich meinen Beruf liebe, so sehr hasse ich Augenblicke wie diesen.

Karli: Ich verstehe.

Direktor: Sie verstehen? Wunderbar.

Karli: Wir sind alle Menschen.

Direktor: Richtig.

Karli: Ich geh dann.

Direktor: Ein schönes Leben. Tschüs. – Warten Sie!

Karli: Ja?

Direktor: (Nimmt einen Stoffhasen vom Schreibtisch und gibt ihn Karli.) Für Sie. Ein kleiner Trost.

Karli: Das ist rührend. Das macht sonst niemand.

Direktor: Ich weiß. Denken Sie an uns gelegentlich.

Karli: Mach ich. Es war eine schöne Zeit. Auf Wiedersehen.

Direktor: Für uns auch. Good bye.

(Karli ab. Der Direktor öffnet eine Schreibtischschublade und schiebt ein großes Stück Schokolade in den Mund. Es klopft.)

Direktor: Wie bitte?

Karli: (Kommt herein.) Entschuldigung. Aber ich lese gerade (Liest aus dem Papier.) „...immer zu unserer vollsten Zufriedenheit...“ und hier „...sehr geehrte Damen, sehr geehrter Herr...“ oder hier, noch besser „...tut es uns mehr weh, das finale Wort zu sagen...“ Nun?

Direktor: Ja?

Karli: Das ist doch kein Problem.

Direktor: Ja wunderbar.

Karli: Ich kann bleiben. Ich meine, Sie haben damit angefangen.

Direktor: Sie verstehen nicht.

Karli: Was?

Direktor: Sie sind – jung – talentiert – ehrgeizig. Unser Unternehmen ist ein Gefängnis. Sie sind geboren, um nach den Sternen zu greifen, ich, um sie Ihnen zu zeigen.

Karli: So?

Direktor: Ja.

Karli: Mir mehr so die inneren Werte wichtig. (Der Direktor lacht.) Gut, habe verstanden. Ich gehe dann.

Direktor: Bitte.

Karli: (Langsam zur Tür.) Alles Gute.

Direktor: Ja.

(Karli geht raus.)

Direktor: Verrückt.

(Karli kommt hereingestürmt.)

Karli: Fräulein Rosbacher.

Direktor: Wie bitte?

Karli: Ihre Frau weiß das nicht, aber vielleicht interessiert sie es. Vielleicht kommen wir so zusammen.

Direktor: Ich warne Sie, ich verspreche Ihnen keine frohe Minute mehr im Leben.

Karli: Und ich werde dahin lange schon genug gelacht haben.

Direktor: Hören Sie. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Das müssen Sie einsehen. Wir können uns gerne außerhalb treffen und ich bezahle. Suchen Sie sich einfach was aus. Niemand von uns ist perfekt. Stellen Sie sich nur vor, wie Sie handeln würden an meiner Stelle.

Karli: Auch wieder wahr.

Direktor: Ehrlich – das hier ist für mich Urlaub, Dampfbad und so weiter. Wenn’s mein Körper hergäbe, verbrächte ich 24 Stunden bei der Arbeit.

Karli: Auf der Arbeit.

Direktor: Was meinen Sie?

Karli: Es heißt richtig: auf der Arbeit.

Direktor: Nein, mein Freund, es heißt bei der Arbeit oder in der Arbeit. Das kommt noch von früher, als noch so viel Arbeit da war, daß man gar nie da rauf kam. (Lacht laut.)

Karli: Nicht wahr.

Direktor: Ja, wahrscheinlich haben Sie recht, ich sollte gehen. Bitte setzen Sie sich.

Karli: Nein, nein, bleiben Sie sitzen, ich sehe das jetzt schon ein.

Direktor: Sie haben mir die Augen geöffnet, mein Freund.

Karli: Kein Problem. Danke. Trotzdem sollten Sie noch eine Nacht darüber schlafen.

Direktor: Eigentlich ist nur ein Tag ohne Erkenntnis ein verlorener. – Danke.

Karli: Ich gehe dann. Sie haben meine Nummer, wenn was ist. (Ab.)

Direktor: Bis bald, Scheißdepp.

 

 

Unter den Dingen I: Susanne zum Volk

 

(Susanne stellt eine Videokamera auf ein Stativ und setzt sich davor.)

 

Susanne: Keiner hat geredet. Angst. Ich nicht mehr. Ich rede. Was sie mit uns gemacht haben. Sie draußen sollen es wissen. Vielleicht alle. Mein Name -

Stimme von oben: Die kriegen mich nicht.

Susanne: Hallo?

Stimme von oben: Ich bin lange vor denen auf.

(Ruhe.)

Susanne: Ich weiß nicht, ob irgendwas hätte klappen können. Ich habe Ärzte gefragt, die’s wissen sollen könnten. Sie haben nichts verstanden, mir geraten zu verschwinden, bevor sie mir helfen müssen. – Mir kann niemand helfen. – Da hättet ihr früher anfangen müssen.

Stimme von oben: Wenn die glauben, sie haben mich unten, schwebe ich schon dreißig Meter über ihnen.

Susanne: Ist da jemand? – Willst du zu mir? Paß auf, ich bin ansteckend. Ich mache dich fertig. – Ich will’s so sagen, wie sie’s uns gesagt haben. So versteht ihr, wieviel Schwachsinn, darin feststeckt. Das heißt nicht, daß ich es verstanden habe, aber ich habe gefragt. Wenn unter euch jemand ist, der sich damit auskennt – Das ist jetzt blöd, vielleicht schreibe ich eine Telefonnummer auf und halte sie ins Bild. Du kannst immer anrufen. Auch so. Versteh mich nicht falsch. Ich mache dich fertig. Kleinen Augenblick. (Sie geht zur Kamera.) Wieso nimmt das nicht auf? So eine Scheiße. Was mach ich denn jetzt?

Stimme von oben: Und irgendwann stehen die vor mir, (Susanne liest in einer Gebrauchsanweisung.) mit nichts als ihren gierigen Blicken an, und ich werde nichts für die übrig haben, nicht einen Hauch von Danke, 60 % unter Wasser, 40 über ihre Glatzenansätze hinweg. Was wollen die dann von mir? Messen im Petersdom gelesen? Die Absolution können sie von mir auch haben. Umsonst. Nehmen die alles, was Spaß macht an einer Religion –

Susanne: (Drückt Knöpfe.) Jetzt muß es gehen.

Stimme von oben: Die Heiligen, die Ablaßzahlungen, das Feuer der Inquisition. – Ich komme nicht wieder, war doch nie weg.

Susanne: Jetzt bräuchte ich wirklich ein bißchen Ruhe. (Stille.) Danke. – (Lauter.) Danke. (Winkt in die Kamera.) Sieht man mich so? Wie sehe ich aus? – Blöde Frage. Ich gefalle mir so. Ehrlich. Ich diskutiere mich nicht mit euch. Ich will euch was anderes erzählen, aber keine Angst, die Rede bleibt von mir.

Die haben uns eingesperrt. Keine Ahnung, wie ich reingekommen bin. Ich war zu jung, es wurde entschieden. Keine Ahnung, von wem.

Bonsai heißen die Bäume, an denen sie schneiden, damit sie klein bleiben. An uns haben sie nicht geschnitten, damit wir klein bleiben.

Also, hör zu: Weil Leben eine Sünde ist und je größer man ist, desto mehr sündigt ein Mensch, deshalb haben sie gesagt, stecken sie uns Kinder in Glasflaschen, solange wir klein sind, und weil wir es nicht anders kennen, bleiben wir so. -

Und wenn ich die Augen zu mache, sehe ich zuerst das Glas und dann die Welt, als ob es zuerst dagewesen wäre, das Glas. Und der Schrei, den ich lasse, der bleibt klein und vor allem bei mir im Glas, und da draußen geht es keinen was an. Das wollten die, und ich wollte es umgekehrt, je länger ich wurde da drin. Und ich wäre denen einfach verreckt, da haben sie nachgegeben. Da habe ich zum ersten Mal was gelernt im Leben: Verreck, wenn dir was nicht paßt.

Wo ist er denn? (Blick nach oben.)Ist er noch da? Hätte dir diese Religion Spaß gemacht?

Wenn’s nichts mehr zu glauben gibt, dann hätten sie uns verkaufen können. Kleine Menschen verkaufen sich gut. Aber wir haben nicht mitgemacht, wir wären verreckt; ein paar haben’s auch einfach gemacht. Eins habe ich nie gelernt: Mich verkaufen. War dann sofort zu groß, aus der Mutter, durch die Flasche. (Nach oben.) Hast du gehört? Ich bin zu groß.

Es gibt wenige von uns. Wir schreiben. Wir wissen, was los war. Eine Mutter aus San Francisco, die hat’s rausgebracht, die kauft ihre Milch aus Flaschen. Ich nicht. Ich mach euch fertig.

Stimme von oben: Ist da unten noch jemand?

Susanne: Ja, ich.

Stimme von oben: Was machen Sie da? Geht es Ihnen gut?

Susanne: Ja, wunderbar. Ich spreche mit allen Menschen.

Stimme von oben: Tut mir leid. Ich muß nun wirklich weg. Sie hätten früher was sagen sollen.

Susanne: Aber das macht doch nichts. Sie werden nicht der letzte sein, der davon weiß.

Stimme von oben: Was?

Susanne: Ich sagte: Vielen Dank.

Stimme von oben: Keine Ursache, aber ich muß nun wirklich weg.

Susanne: Geh. Ich bleibe.

Stimme von oben: Adios.

Susanne: Mach mit dem Licht, was du willst. Ich komme schon zurecht.

Stimme von oben: Was?

 

(Stille. Licht aus.)

 

 

2. Zehn Bier

 

(Karli und Luggi an einer Bar. Musik. Sie rauchen und trinken.)

 

Karli: Das wird gut.

Luggi: Ja, ja.

Karli: Das wird so gut.

Luggi: Ja.

Karli: Ich muß mal schnell wo hin. (Ab.)

Luggi: So, so. (Trinkt sein Bier aus, schnell, und einen Schluck aus Karlis, zündet eine von dessen Zigaretten an, durchwühlt dessen Jacke, holt den Geldbeutel raus, steckt ihn aber enttäuscht zurück, als er nur einen Schein darin sieht.)

Karli: (Im Zurückkommen.) Weißt du, ich habe viele Ideen, die muß ich umsetzen, habe jetzt die Zeit dafür. (Sieht Luggi aus seinem Bier trinken.) Ich muß irgendwie nur noch ein paar Leute finden.

Luggi: Woher willst du das Geld nehmen?

Karli: Das ist kein Problem. Ich erkläre denen meinen Plan. Das muß funktionieren. – Welches war mein Bier?

Luggi: (Spuckt hinein.) Mußt dir ein neues bestellen.

Karli: Ich habe die Texte fertig, teilweise im Kopf. Willst du sie hören?

Luggi: Nein, nicht nötig.

Karli: Zigarette?

Luggi: Bitte.

Karli: Sind eh meine.

Luggi: Nimm ruhig.

Karli: (Zündet an und raucht.) Das wird gut.

Luggi: Ja.

Karli: Das wird sehr gut.

Luggi: (Hält das Bierglas hoch.) Auch noch eins?

Karli: Gern.

 

 

Die Texte I: Philosophie am Biertisch

 

Schnell rechnen muß man können

Für diesen Job.

Sonst kostet er dich dein Leben

Und noch eins dazu.

 

Du hättest nur einmal

Nicht gleich „hier“ sagen sollen.

Die oder der hätten schon einen gefunden,

Die oder der besser ist als du und dein Körper,

 

Besser und besser aussehend

Dabei und danach.

 

„Ich brauche das Geld“

Zählt nicht mehr,

Seit andre schon an mehr verhungert sind.

 

Nun sitzen wir

Vielmehr ich sitze und du stehst hier

Und diskutieren dich

 

Und ist es das, was wir wollten,

Als ich morgens zum Bier aufbrach?

 

„Ich brauche...

 

 

3. Oh Susanne

 

(Karli angetrunken im Zug. Das Abteil betritt Susanne, die sichtlich keinen ihrer besseren Tage erlebt, wenn sie die nicht alle sowieso schon hinter sich hat. Sie setzt sich ihm schräg gegenüber und schließt die Augen. Sie darf, wenn sie spricht, mit schwäbischem Dialekt reden. Die Kontrolleurin kommt herein.)

 

Kontrolleurin: Die Fahrscheine, bitte. Guten Abend.

Karli: Bitte.

Kontrolleurin: Alles in Ordnung. Danke.

Karli: Danke auch.

Kontrolleurin: Gute Fahrt weiterhin. Danke.

Karli: Ebenfalls und schöne Feiertage.

Kontrolleurin: Danke. – Und bei Ihnen?

Susanne: Das ist alles, was ich habe.

Kontrolleurin: Dann wollen wir mal sehen. – So, so. Österreichische Bundesbahn, 15. November. So, so. Frau, das ist über einen Monat her!

Susanne: Ich weiß, aber die haben gesagt, ich komme so nicht weiter, aber ich brauche eine Fahrkarte, habe ich gesagt, sonst komme ich nicht weiter, und dann haben sie mir die gegeben, und ich habe auch gleich gefragt, aber die haben gesagt, das paßt schon, damit kommen sie durch. – Na, wenn das stimmt. – Das stimmt schon, gute Frau. Da brauchen Sie sich nicht künstlich aufzuregen. – Wer regt sich da künstlich auf? Ich rege mich doch nicht künstlich auf. Wenn sich jemand künstlich aufregt, dann seid ihr das.

Kontrolleurin: Danke.

Susanne: Dann ist das jetzt in Ordnung? Dann kann ich jetzt weiterfahren?

Kontrolleurin: Ja.

Susanne: Dann paßt’s ja. (Die Kontrolleurin ab ins nächste Abteil. Zu Karli.) Fahre nach Hause. Mit mir stimmt was nicht.

Karli: Ach so.

(Die Kontrolleurin kommt zurück mit dem Sicherheitsbeamten.)

Sicherheitsbeamter: Die da? (Grinst.)

Kontrolleurin: Genau.

Susanne: Paßt was nicht?

Sicherheitsbeamter: Kann ich mal Ihren Fahrausweis sehen?

Susanne: Bitte.

Sicherheitsbeamter: 15. November. Das ist über einen Monat her, das wissen Sie schon?

Susanne: Das weiß ich, sicher, aber das ist alles, was die mir gegeben haben.

Sicherheitsbeamter: Kommen Sie aus Österreich?

Susanne: Nein, deswegen habe ich mich auch gewundert, aber die haben gesagt, damit komme ich durch. Ist das schlimm?

Kontrolleurin: Nein, nein.

Sicherheitsbeamter: Wo wollen Sie hin?

Susanne: Nach Hause.

Kontrolleurin: (Lacht.) Ja, das wollen wir alle.

Sicherheitsbeamter: (Lacht.) Dann machen wir doch gleich Feierabend.

Susanne: Machen wir doch gleich Feierabend.

Sicherheitsbeamter: Kann ich mal Ihren Ausweis sehen?

Susanne: Moment. (Durchsucht ihre Jackentaschen.) Ich habe ihn gleich. – Das gibt’s doch nicht.

Sicherheitsbeamter: Wir haben Zeit.

Kontrolleurin: Bis Feierabend ist.

Susanne: Bis Feierabend ist. (Lacht.) Hier bitte, hier ist es.

Sicherheitsbeamter: So, so.

Susanne: Was ist? Paßt was nicht?

Sicherheitsbeamter: Nein, nein, alles in Ordnung. (Gibt die Papiere der Kontrolleurin.)

Susanne: Dann kann ich jetzt weiterfahren?

Kontrolleurin: Freilich, bei uns ist der Kunde König. (Ab.)

Susanne: Hey, was will die mit meiner Fahrkarte und meinem Ausweis? Die brauche ich.

Sicherheitsbeamter: Keine Sorge, reine Routine. (Breites Grinsen.)

Susanne: Dann kann ich also in Ruhe nach Hause fahren?

Sicherheitsbeamter: Können Sie, ganz sicher.

(Schweigen. Plötzlich fängt Susanne an zu weinen, der Sicherheitsbeamte weiß auf einmal nicht mehr, wohin mit seinem Grinsen. Trotzdem dauert es noch eine Weile, bis die Kontrolleurin zurückkommt.)

Kontrolleurin: So, das ist für Sie. (Übergibt Susanne einen Stapel Papier. Zum Sicherheitsbeamten.) Was ist hier passiert?

Sicherheitsbeamter: Ich habe gar nichts gemacht.

Kontrolleurin: Gut. Dann sind wir hier fertig.

Susanne: 80 Euro. Aber ich habe überhaupt kein Geld.

Kontrolleurin: Tut mit leid, aber so sind die Regeln; ich habe sie nicht gemacht.

Karli: (Leise.) Es gibt keine Zeugen. Sie können heute ein Auge zudrücken.

Sicherheitsbeamter: Wissen Sie, guter Mann, da gäbe es immer jemanden. Da können wir keine Ausnahme machen. So leid es mir tut. Das müssen Sie einsehen.

Kontrolleurin: Und bei Ihnen auch alles klar?

Susanne: Ja, schon gut. Schöne Feiertage.

Kontrolleurin & Sicherheitsbeamter: (Gemeinsam.) Schöne Feiertage. (Ab kopfschüttelnd.)

(Karli bietet ihren letzten Tränen einen Stoffhasen.)

Karli: Ein kleiner Trost.

Susanne: Danke.

Karli: Und? Auch so auf dem Weg nach Hause? Allein?

Susanne: Ja, aber ich habe einen Freund.

Karli: Das habe ich gar nicht gefragt.

Susanne: Das ist immer dasselbe.

Karli: Nein, bei mir nicht, ich habe überhaupt kein Interesse.

Susanne: Wie kein Interesse?

Karli: Ja, was weiß ich? Ich bin angesoffen und müde und will eigentlich nur in mein Bett.

Susanne: Bist du schwul?

Karli: Ich? Schwul? Hör mal. Da gibt’s ganz andere Geschichten zu erzählen von mir.

Susanne: Wieso habt ihr Männer nur immer so Probleme mit dem Schwulsein?

Karli: Ich habe doch überhaupt keine Probleme. Viele meiner besten Freunde sind schwul, und ich rede auch darüber. Ich gehe mit denen auch überall hin.

Susanne: So?

Karli: Ja, ist so. (Pause.) Schlimme beide, diese.

Susanne: Ja, schlimme. Früher hätte es das nicht gegeben.

Karli: Was ist bloß los heute, wenn es das früher nicht gegeben hätte?

Susanne: Ja, was? Das sind doch die Menschen heute, die ganz anders sind. Irgendwie kein Herz mehr, nur noch Kommerz, Kommerz.

Karli: Genau.

Susanne: Irgendwie mehr kein Herz.

Karli: Was?

Susanne: Mehr irgendwie kein Herz.

Karli: Wie bitte?

Susanne: Ja, ich versuch’s irgendwie so, daß es sich auf Kommerz reimt.

Karli: Ach so. Ja klar.  – Mehr kein irgendwie Herz. Auch blöd.

Susanne: Geht nicht.

Karli: Scheinbar nicht.

Susanne: Auch egal.

Karli: Es muß doch zwischen jeder Hand und jedem Kopf noch ein Herz als Mittler sein, sonst – wo kommen wir denn dann hin?

Susanne: Ja, wohin?

Karli: Aber es ist ja egal, was man sagt, es hört doch keiner.

Susanne: Das stimmt gar nicht.

Karli: Nein?

Susanne: Gerade wir müssen was tun, gerade bei uns fängt es an.

Karli: Ja?

Susanne: Wann hast du morgen aus?

Karli: Was?

Susanne: Ich meine, ich habe - Zeit morgen, ich kann dich mal von der Arbeit abholen.

Karli: Das trifft sich gut, das heißt schlecht, ich habe nämlich keine mehr.

Susanne: Ehrlich? Wie das?

Karli: Ja, was weiß ich? Auf einmal hieß es, die brauchen mich nicht mehr.

Susanne: Das kann nicht sein.

Karli: Doch, aber das macht nichts. Ich habe nämlich einen Plan.

Susanne: Ich heiße Susanne.

 

 

Unter den Dingen II: Lektion in Konspiration

 

(Der Dierktor am Schreibtisch über Briefe vertieft, der Sicherheitsbeamte reinigt ein Gewehr.)

 

Sicherheitsbeamter: Nicht schießen, weiß gar nicht mehr, wie das ist. Zeitverschwendung und Munition, die wird schlecht, wenn sie kalt wird. Das wissen viele nicht. Die meinen, Pulver ließe sich konservieren. Aber falsch: Pulver will atmen, will explodieren, solange es heiß ist.

            Ich bin die Drecksau, aber die Supermärkte mit ihren Truhen sind okay für die kleinen, 16-jährigen Mädchen mit ihren Zahnspangen –

Direktor: Zahnspangen?

Sicherheitsbeamter: Stimmt was nicht?

Direktor: Nein, nein.

Sicherheitsbeamter: Pizza, Hackfleisch, Hamburger.

Direktor: Tütensuppen.

Sicherheitsbeamter: Ja, für die kommt der Strom aus der Dose und das Wasser vom Himmel.

Direktor: Schlimm ist das.

Sicherheitsbeamter: Wissen Sie, ich stelle mir das so vor: Sagen wir vor Jahrmillionen, von mir aus in Afrika, Mensch und Tier völlig gleich, auf vier Extremitäten, dann auf einmal, Morgengrauen der Menschheit, der menschlichen Rasse, es richtet sich einer auf, um eine Waffe in die Hand zu nehmen und wird zu dem, was wir heute als Leute kennen, nur durch das Ergreifen der Waffe. So stelle ich mir das vor.

Direktor: Wunderbar.

Sicherheitsbeamter: Das klingt so hart in den Ohren, aber so ist es. Man kann nicht seiner Natur die Wahrheit verweigern, man kann schon – davonlaufen kann man immer, freilich, aber fragen Sie nicht, wen die erste Kugel in den Rücken trifft.

Direktor: Nein, nein. Ich habe gerade nicht zugehört, aber Sie haben sicher recht.

Sicherheitsbeamter: Mein erstes Tier war ein Reh.

Direktor: Meines eine Katze.

Sicherheitsbeamter: Schmeckt das?

Direktor: Weiß nicht. – Wie lange kennen wir uns schon? – Ewig. Ich könnte Ihr Vater sein, habe Ihnen Ihr drittes Gewehr gekauft, dafür haben Sie mich mit rausgenommen und mir Dinge gezeigt, die ich nicht geahnt habe, dabei lagen sie vor meinen Augen. Ich verdanke Ihnen viel trotz oder gerade wegen Ihrer Jugend. Und nun, in einem Alter, in dem viele meiner Klassenkameraden schon ihre Biographie diktieren, denke ich mir, für Eines ist noch Zeit, ein Baum gehört noch mir, den reiße ich aus. Dann ziehe ich Bilanz. – Ich habe keine Kinder.

Sicherheitsbeamter: Ich ahne, was jetzt kommt.

Direktor: Sie sind nicht blöd. Sie denken, obwohl Sie schießen oder Sie denken, weil Sie schießen.

Sicherheitsbeamter: Oder ich schieße, weil ich denke. Aber lassen wir diese Kalauerei. In diesem Land ist das Voraussetzung, leider oder auch zum Glück.

Direktor: (Nimmt einen Brief.)Da gibt es eine Geschichte, bereits ein paar Jahre alt, ich weiß nicht, ob Sie davon gehört haben. Eine Sekte, mit Sitz, glaube ich, in Amerika, die haben Kinder, fast noch ungeboren, in Glasflaschen gesteckt, gerade, daß sie reingepaßt haben und wollten so erreichen, daß sie nicht wachsen, der Natur künstliche Grenzen setzen, sozusagen zeigen, daß die Menschheit technisch weit genug ist, die Ursünde, vor Tausenden von Jahren von Adam, Eva und der Schlange begangen, seitdem der Mensch aus dem Paradies vertrieben, die Ursünde rückgängig zu machen. – Ihnen als Jäger muß ich nicht erzählen, daß erste Experimente gern fehlschlagen, und als ein paar Minikadaver auf dem Müll landen, entdeckt sie eine Angestellte, katholisch vermutlich, und Ende, Staatsanwalt, Richter und so weiter.

Sicherheitsbeamter: Nein, davon habe ich nichts gehört.

Direktor: Moralisch und natürlich vor allem philosophisch dünnwandig wie ein Eierschale, aber das interessiert mich gar nicht.

Sicherheitsbeamter: Uninteressant.

Direktor: Verstehen Sie etwas von Konspiration?

Sicherheitsbeamter: Konspiration? Ich muß gestehen, da müssen Sie mir jetzt begriffsmäßig etwas aus der Patsche helfen.

Direktor: Na ja, Karl der Große, alles erfunden; es war noch nie ein Mann auf dem Mond, aber jeder glaubt daran und so weiter. Das meine ich. Gandhi mit Elvis in einem Geheimversteck auf Tahiti, beide lebendig.

Sicherheitsbeamter: Ich glaube, langsam verstehe ich, was Sie meinen.

Direktor: Und dann habe ich mir gedacht, so etwas im Kleinen. Wenn’s klappt auch größer und dann alt sein, endlich alt sein in Ruhe und Einsamkeit, in einem Alter, in dem andere längst ihren Enkeln den Führerschein spendieren.

Sicherheitsbeamter: Klingt gut, aber was ist meine Aufgabe dabei?

Direktor: Ihre Aufgabe? Keine Ahnung, muß ich noch überlegen. – Wissen Sie, ich bekomme sehr viel Post. Ich bin scheinbar sehr beliebt. Menschen, die alle ihre Hoffnung auf mich als Fundament bauen. Ich würde denen am liebsten etwas geben, einen Grashalm, an den sie sich klammern, ein Stück Fleisch, irgendwo aus meinem Leib geschnitten, von dem sie nur einen Tag satt werden, aber ich bin zu klein wie die Kinder in den Flaschen, wenn’s geklappt hätte. – Aber das langweilt Sie sicher, die Sorgen eines nicht mehr ganz jungen Mannes.

Sicherheitsbeamter: Nein, um Gottes willen.

Direktor: Sie sind Busfahrer?

Sicherheitsbeamter: Nein. Ich bin bei der Bahn.

Direktor: Wußte ich es doch, so etwas Ähnliches. Wie läuft es da?

Sicherheitsbeamter: Ach, wissen Sie, Herr. Dasselbe alte Problem: Es sind halt Menschen; das tut manchmal schon weh, und ich bin in Ehrlichkeit gar nicht so, aber, mein Gott, wer fressen will – Und dann soll man sich nicht beschweren, wenn ich abends mal rausgehe und ein paar Tiere daran glauben lasse. Umgekehrt wäre es schließlich schlimmer.

Direktor: Ganz recht. Und ich werde es keinem, der mich fragt, rational erklären können, aber jedes Gespräch mit Ihnen läßt mich mich besser fühlen, aber trotzdem denke ich, daß auch Sie noch etwas zu tun haben und jetzt gehen, ich kann ja schlecht, denn es ist mein Büro.

Sicherheitsbeamter: Ein gutes Schlußwort. Das haben Sie schön und noch nie zu mir gesagt. Ich bin etwas platt, gehe aber. Auf Wiedersehen. Hoffentlich bald. (Will gehen.)

Direktor: Moment. Haben wir nicht was vergessen?

Sicherheitsbeamter: Oh, Entschuldigung. (Gibt ihm das Gewehr zurück. Ab.)

Direktor: Au revoir.

 

 

4. Im Schatten großer Ereignisse

 

(Ein Tisch mit leergegessenen Tellern und Schüsseln. Karli, Luggi und Susanne. Karli erhebt sich und sein Glas.)

 

Karli: Liebe Susanne, lieber Freund Luggi.

(Die beiden schütteln sich die Hände.)

Luggi: Sehr angenehm.

Susanne: Auch nett.

Karli: Fragt ihr euch sicher schon eine Zeit, was ihr hier sollt mit dem ganzen Essen von mir, der sicher nichts zu feiern hat: Job weg und auch keine Verlobung. Fragt ihr euch. Die Antwort Doppelpunkt. Das Leben geht weiter. Ja, das tut meines auch und ich feiere nicht, höchstens mit, sagt ihr. Zu Recht. Und dennoch ist da ein Unterschied: das Irgendwie. Ein bekannter Mann von mir und guter Freund hat einmal gesagt: „Nur ein guter Tag ist einer mit einer Erkenntnis.“

Susanne: (Zu Luggi.) Weißt du, wo das Klo hier ist?

Karli: Den Gang hinter und dann die letzte links.

Susanne: (Steht auf. Zu Luggi.) Ich schrei dann, wenn ich mich verlaufen habe. (Ab.)

Luggi: Woher hast du die denn?

Karli: Bekannte von mir.

Luggi: Die hat doch ein Alkoholproblem.

Karli: Wie bitte?

Luggi: Die hat doch ein Alkoholproblem.

Karli: Das geht uns nichts an.

Luggi: Mich sowieso nicht.

Karli: Aber gut, daß du’s gesagt hast.

Luggi: Stehst auf sie?

Karli: Sie ist eine Bekannte.

Luggi: Könnte sich lohnen, wenn man sie trocken brächte.

(Susanne kommt zurück.)

Susanne: Rede schon aus?

Luggi: Geschäft schon beendet?

Susanne: Noch gar nicht angefangen; habe mir gedacht, ich warte, bis es dringend wird.

Luggi: Ach so.

Karli: Leute, ich habe eine Vision, einen Plan.

Luggi: Weißt du jetzt, wie du an Geld kommst?

Karli: Noch nicht genau, aber die Richtung stimmt.

Luggi: Du hast Nerven, Mann. (Schenkt sich Wein nach.)

Susanne: Das mag ich an ihm.

Luggi: Was?

Susanne: Sein leichtes Leben, ein Tag in den nächsten.

Luggi: Könntest du bei mir noch was erleben.

Susanne: Wirklich?

Karli: Na sicher. – Entschuldigung, Leute, aber es war mir wichtig, das zu sagen und ich habe einfach keine Lust darauf, mir das Ganze schon wieder zerreden zu lassen.

Luggi: Was denn? Daß du vorhast, eine Band zu produzieren, damit groß rauszukommen und außerdem nicht nur das Niveau der deutschen Popmusik und die Seele der Menschen, sondern auch deinen Arsch respektive dein Bankkonto an Land zu retten?

Karli: Entschuldigung, aber das ist natürlich nicht alles, für das ich diesen Aufwand hier treibe.

Luggi: Du hast die Texte fertig.

Karli: Entschuldigung, das ist nicht alles, ich habe vielleicht die Leute – außerdem solltest du schon lange wissen, daß ich die Texte fertig habe.

Luggi: Du brauchst dich nicht dauernd zu entschuldigen.

Karli: Entschuldigung, ihr freßt euch bei mir voll – tut mir leid, jetzt habe ich mich schon wieder entschuldigt.

Luggi: Ist gut. Ich zahle dafür, ich zahle immer. Ich will keine Schulden, die einem jahrelang vorgehalten werden.

Karli: Nein, laß es.

Susanne: Weißt du, Karli, ein bißchen verstehe ich deinen Kumpel schon: Was willst du uns eigentlich sagen?

Luggi: (Hört Signale wachsen.) Vielleicht ist das im Moment viel für ihn. Keine Arbeit, keine Perspektive, niemand, der ihn liebt oder dem er sich anvertrauen kann. Das Beste ist wahrscheinlich Einsamkeit, damit die Gedanken in Ruhe Taten werden können.

Karli: Nein, bitte nicht. Ich will euch nicht vertreiben. Bleibt, solange ihr könnt. Du hast zum Teil Recht, Luggi, diese Sachen haben mit meinen Nerven gemacht, was sie wollten.

Luggi: Ich weiß genau, was du brauchst. (Zu Susanne.) Wie bist du da?

Susanne: Diese Fixer haben mich beim Schwarzfahren rausgezogen, jetzt wieder zu Fuß.

Luggi: Ich kann dich mitnehmen.

Susanne: Ehrlich?

Luggi: Ich habe ein Umweltabo. Da kann man nach neun Uhr jemanden mitnehmen, bis zu vier Personen, also zum Beispiel ein Ehepaar mit drei Kindern. Ideal.

Susanne: Das ist voll großzügig.

Luggi: Lohnen würde es sich auch bei zwei, die sehr nahe zusammen wohnen, denn es ist auch übertragbar.

Susanne: (Erregt.) Übertragbar?

Luggi: Wir gehen wohl besser jetzt.

Susanne: Ich muß vorher noch mal dringend aufs Klo. (Ab.)

Luggi: Keine schlechte Wahl, deine Bekanntschaft.

Karli: Was?

Luggi: Sie ist nicht besonders schlau, aber sie hat was.

Karli: Ich habe gerade nicht so zugehört.

Luggi: War nicht so wichtig.

Karli: Ich glaube, ich hatte gerade schon wieder eine Idee.

Luggi: Weißt du, was dein eigentliches Problem ist?

Karli: Nein.

Luggi: Deine Ideen sind nämlich gut. Sie funktionieren nur nicht.

Karli: Was soll ich machen?

Luggi: Weil du kein Gespür hast für die Menschen. Das ist alles so vage. Man braucht soviel Geduld mit dir. Die Zeit hat keiner mehr mit der jetzigen Lage. Mach dich klarer und hilf dir selbst. Raus aus dem Egozentrum!

Karli: Du meinst, ich sollte – das stimmt vielleicht.

Susanne: (Kommt zurück, schlecht nachgeschminkt.) Gehen wir?

Luggi: Niemand wartet auf dich. (Zieht eine rote Samtjacke an.) Wir gehen. (Ab mit Susanne.)

Karli: (Schenkt sich Wein nach.) So, so.

 

 

Die Texte II: Die Frau, die Unglück bringt

 

Mein Kissen riecht nach Nachtschweiß,

Ich lieg gebadet drin,

Das macht es für mich schlimm,

Weil ich alleine bin.

 

Ich träum von Discos und guter Beatmusik

Und daß ich auf dir lieg

Und alles von dir krieg.

Doch dann spielt der DJ einen Mollakkord

Und du bist fort,

Weil es für dich gut klingt,

Weil es swingt,

Für die Frau, die Unglück bringt.

 

Hoch auf dem Dach über der Stadt,

Wo man noch einen Stock höher steht,

Über dem, was vor sich geht,

Von da aus kann ich alle meine Freunde sehen,

Wie sie zu dir gehen.

Denn du bist auserkoren,

Die Psychen zu durchbohren.

Das klingt jetzt trist.

 

Uns deswegen jetzt noch ein Mollakkord,

Daß es für dich gut klingt,

Daß es swingt,

Für die Frau, die Unglück bringt.

 

Du hast ja keine Ahnung,

Wie gut wir waren.

Du wirst es nie erfahren.

Wir tun’s für uns bewahren.

 

Und trotzdem jetzt noch ein letzter Mollakkord,

Daß es für dich gut klingt,

Daß es swingt,

Für die Frau, die Unglück bringt.

 

 

5. Ein Treffen höchster Ebenen

 

(Freudig lächelnd begrüßt der Direktor Karli in seinem Büro.)

 

Karli: Guten Tag. Wir kennen uns.

Direktor: Natürlich kennen wir uns, Herr Morschhäuser.

Karli: Nursch.

Direktor: Wie bitte?

Karli: Nurschhäuser ist mein Name.

Direktor: Oh, entschuldigen Sie, wie konnte ich nur – aber ich hatte vorhin einen Herrn - Mosbacher in der Leistung. Tut mir sehr leid. Schokolade? (Bietet ihm einen Riegel an.)

Karli: Nein, danke. Nun, um es kurz zu machen –

Direktor: Ich hätte nicht gedacht, daß wir uns nach so kurzer Zeit wiedersehen. Sie sehen hervorragend aus.

Karli: Danke. – Ich habe versucht, Ihnen grob zu skizzieren, worum es geht.

Direktor: Das habe ich gelesen, das ist einen phantastische Idee. Ich bin ganz begeistert.

Karli: Wie Sie sich vor- Wie sie sich vielleicht vorstellen können, gibt es da noch ein kleines Problem. Aber nicht bloß dieses wegen, auch des guten Rats wende ich mich an Sie und Ihr Unternehmen.

Direktor: Sehr gut. Ich habe schon längst alles durchschaut, mein Freund. Diese Kraft, die in Ihrer Jugend steckt – darf ich sie so nennen? – Ich würde mich am liebsten auf sie stürzen und lecken bis auf den letzten Grund.

Karli: Bitte.

Direktor: Das Geld. Das Geld fehlt Ihnen und ich besitze es und reiche es Ihnen voller Bewunderung wie ich einem Bräutigam meine Tochter zuwerfen würde.

Karli: Ehrlich?

Direktor: Natürlich, war gerade etwas theatralisch, Pardon, aber wir können über einen Kredit reden. Wirft ja auch Profit ab, das Ding. Wirft doch, oder?

Karli: Klar, wirft es.

Direktor: Sehr schön. – Aber nun, denke ich, ist es Zeit, daß ich Ihnen auch einmal eine kleine Freude mache.

Karli: Mir?

Direktor: Na, sehen Sie sonst noch jemanden hier?

Karli: Da haben Sie wieder recht.

Direktor: Nehmen Sie! (Streckt ihm eine Tafel Schokolade entgegen.)

Karli: Für mich?

Direktor: Nehmen Sie!

Karli: Das ist sehr freundlich von Ihnen.

Direktor: Packen Sie’s ruhig gleich aus. Aber vorsichtig.

(Karli packt die Schokolade vorsichtig aus und probiert ein Stück.)

Karli: Mmh. Herbe Sahne. Mag ich.

Direktor: Dacht ich mir doch. Aber wichtiger ist noch die Verpackung.

Karli: Noch wichtiger?

Direktor: Schauen Sie bloß!

Karli: (Betrachtet die Innenseite des Einpackpapiers.) Ui ja!

Direktor: Was sagen Sie dazu?

Karli: Gratulation.

Direktor: Das hätten Sie nicht gedacht.

Karli: Oh, nein.

Direktor: Wissen Sie, was ich studiert habe?

Karli: Nein.

Direktor: Im Nebenfach?

Karli: Hm.

Direktor: Politik. Wissen Sie, dadurch wird man – überlegter. Man liest mehr nach, man läßt seinen Gedanken mehr Zeit. Und dann eines Tages – vor zwei Wochen – war ich soweit, daß ich sagte, bauen wir aus solidem Holz, war alles schon lange so weit. – Überhaupt auch so eine Sache, auf die man erst stoßen muß und deswegen dürfen Sie auch nicht böse sein, wenn ich Sie Ihnen jetzt verrate. – Die Dinge sind meist schon so, wie wir sie uns wünschen, wir müssen es nur noch erkennen.

Karli: (Vor allem mit der Schokolade beschäftigt.) Mmh.

Direktor: Alle Menschen sind frei, sie müssen es nur begreifen.

Karli: Mmh.

Direktor: Alle Vögel sind – ach, egal, Sie verstehen, was ich sagen will?

Karli: Logisch, und deswegen heiraten Sie Fräulein Rosbacher. Gratuliere. (Fertig mit der Schokolade.)

Direktor: Genau, und Sie sind eingeladen und bringen Sie Ihr Herzstück mit.

Karli: Herzstück?

Direktor: Dame! – Sie sind doch –

Karli: (Nach kurzem Überlegen.) Ja.

Direktor: Sehr gut. Wissen Sie, wovor ich die meiste Angst habe?

Karli: Tod? Sterben?

Direktor: Nein! Die Asexualität.

Karli: Ah, verstehe.

Direktor: Diese Typen, die sich offensichtlich für nichts interessieren, also auch nicht schwul oder Kinderpornos, nein, einfach null, also ob deren Ofen aus wäre, die sind mir unheimlich, da ziehe ich mich gleich freiwillig zurück, da weiß man nie, ganz im Gegenteil zu den anderen – Sie werden’s erraten.

Karli: Klar.

Direktor: Die, mit denen man, - Sie hören’s, ich sage bewußt Mann und nicht Frau – mit denen Mann auch was saufen kann und bei denen auch um vier Uhr früh – aber Sie wissen’s – wir verstehen und sehen uns.

Karli: Machen wir.

Direktor: Arreviderci.

Karli: Adieu. (Ab.)

Direktor: (Allein am Schreibtisch.) Wenn ich nur wüßte, wie ich den einschätzen soll. Pss. Pss.

 

 

Unter den Dingen III: Welcher Teil des Ganzen?

 

(Im Zug die Kontrolleurin und der Sicherheitsbeamte. Eine Schnapsflasche im Bild, nicht mehr voll.)

 

Sicherheitsbeamter: Ich bin kein solcher, das ist allgemein bekannt. Der kann wollen von mir, was er will, bekommen tut der nichts, nicht mal was für 40 Cent. – Ich habe jetzt nicht unbedingt Abitur, aber es gibt drei, vier Arten von Intelligenz und – entschuldige -, aber was heißt das, wenn dir einer mitten ins Gesicht hinein sagt, er hat keine Kinder? Warum hat denn einer keine Kinder? Ich sage dir, von den fünf, sechs Gründen, die du dir jetzt mehr vorstellen kannst, stimmt keiner auch nur halb.

Kontrolleurin: Du kennst meine Meinung.

Sicherheitsbeamter: Ja, schon, aber könntest du sie noch mal wiederholen?

Kontrolleurin: Wieso? Ich hab’s schon tausend Mal gesagt und du weißt genau, wovon ich rede.

Sicherheitsbeamter: Ja, schon, aber nicht, daß wir aneinander vorbeireden.

Kontrolleurin: Du hörst mir überhaupt nicht zu.

Sicherheitsbeamter: Oh doch, ich weiß, wie verletzend es ist, nicht zugehört zu bekommen. Ich bin mir nur nicht sicher, ob du die eine Meinung meinst oder die andere, wenn du jetzt sprichst.

Kontrolleurin: Ach so, sag so was doch bitte gleich. Ganz abgesehen davon, daß bei mir natürlich nicht nur die eine und die andere Meinung existiert, sondern ganz verschiedene zum Teil, zu kleinen und zu großen Themen, bunte, schwarze, weiße, runde, elliptische, ja sogar wichtige und unwichtige.

Sicherheitsbeamter: Auch das ist mir bekannt, fast solange wir uns kennen und deswegen sage ich oder wenn ich es nicht gemacht habe, dann jetzt, daß es wichtig ist, daß man sich verständigt, sonst ist das, was der Mann auf der Straße Kommunikation nennt nicht möglich, außer vielleicht bei uns, weil wir uns schon solange kennen.

Kontrolleurin: Und genau aus diesem Grund will ich dir ein ganz großes Geheimnis um meine heutige Meinung verraten: Sie ist gar nicht original meine, sondern von einem Fremden und von mir so gut befunden, daß ich sie beinahe ungeprüft in mein Repertoire übernommen habe. Von wem sie ursprünglich ist, habe ich übrigens ziemlich genau vor vier Tagen auf dem Postamt vergessen, als ich mich ein wenig in den jungen Mann in der Reihe zwei vor mir verliebt habe, an sich albern, aber das weiß ich.

Sicherheitsbeamter: Mich wundert, nein, begeistert, wie genau solche Dinge im Gedächtnis bleiben.

Kontrolleurin: Es gibt, grob, aber treffend gesagt, zwei Arten von Leuten: gute und böse. Gute sind jederzeit und überall zu unterstützen, denn dadurch vermehrt sich das sogenannte Gute, was wiederum die Guten fördert und durch diesen fälschlich als Teufelskreis bezeichneten Kreislauf werden die bösen Dinge – Krieg, Unterdrückung, Massentierhaltung – überflüssig. Nun aber - und das ist das Besondere meiner Meinung – das Böse, vertreten durch die Bösen oder auch Schlechten, ist immer zu bekämpfen, im schönsten Fall, dem idealen, durch Ausrottung. In deinem Fall: Wenn er dich bittet die Waffe auf eine Person zu richten, dann prüfe, und wenn es sich um einen Schlechten handelt, dann drück ab.

Sicherheitsbeamter: Ja, das ist richtig, aber es ist ein Mensch. Bei einem Tier ist das leicht, das kann gut/böse/neutral nicht einmal buchstabieren, aber bei einem Menschen, wenn der in seinem Leben vielleicht zwölf Minuten gut war, ist der automatisch schlecht?

Kontrolleurin: Bitte, das sehe ich doch.

Sicherheitsbeamter: Du, aber ich bin ein Mann.

Kontrolleurin: Was ist da der Unterschied?

Sicherheitsbeamter: Ich will mit dir nicht diskutieren, sondern dir eine Frage stellen, ob ich dich um etwas bitten dürfte.

Kontrolleurin: Gleich?

Sicherheitsbeamter: Nur ob du mitkommen kannst, nur das erste Mal, damit ich keine Fehler mache. – Bis jetzt ist es auch nur eine Vermutung. Kann sein, daß ich auch niemanden umlegen muß, sondern nur einen Koffer mit einer Million über die Straße tragen und in einer Telefonzelle ablegen, und schon bin ich wieder raus aus dem Plan.

Kontrolleurin: Du weißt, daß ich viel zu tun habe. Ich werde wahrscheinlich keine Zeit haben.

Sicherheitsbeamter: Tut mir leid.

Kontrolleurin: Keine Ursache, aber ich finde schon lange, daß wir mal was unternehmen sollten. Privat.

Sicherheitsbeamter: Wirklich?

Kontrolleurin: Warte auf meinen Anruf und dann alles analog, keine Schußwaffen, da bin ich altmodisch, darauf muß ich bestehen.

Sicherheitsbeamter: Meinetwegen. Ich habe ja noch nie.

Kontrolleurin: Du, was dagegen, wenn ich jetzt ein bißchen kontrolliere? Ich muß nämlich.

Sicherheitsbeamter: Du, kein Problem. (Berührt seine Brust.)

Kontrolleurin: Danke. (Ab.)

 

 

6. Tiefe Blicke

 

(Karli allein.)

 

Karli: Wie sehe ich aus? – Wie, findest du, sehe ich aus? Gut? Nicht wahr, ich sehe gut aus, Susanne? Weißt du warum? Ich weiß nicht, ob du das siehst, ob dir das auffällt, aber das, was glänzt an mir, ist nicht Gold – noch nicht – nein, es ist der Erfolg – nein, es ist die Sonne des Erfolgs, die an meinem Horizont aufsteht und sich in meinem Antlitz – hm – Gesicht spiegelt. Du lachst, ich weiß, daß du lachst, ihr lacht viel über mich, du und mein/dein Freund Luggi. Das dürft ihr. Wir leben in einem freien Land. Solange ich nichts davon erfahre, ist es mir egal wie sonst noch was.

Susanne, ich kann nicht in dein Herz schauen, und darum geht es auch nicht, noch nicht. Die Sache mit dir und mit Luggi – der Luggi ist mein Freund, und die Freundschaft ist mir heilig, eure Sache ist mir heilig. Doch darum geht es auch nicht.

Susanne, die Nacht, als ich dich zum ersten Mal sah – traf, da dachte ich, die – die schämt sich nicht, wenn du - in dem Fall ich – neben dir gehst, also ich gehe und werde gesehen neben dir und du auf jeden Fall schämst dich nicht - ich auch nicht – um Gottes Willen.
(Er holt einen Kassettenrekorder hervor, drückt auf >STOP<, spult zurück und hört sich den Anfang der eben gehaltenen Rede an. Ziemlich schnell haut er auf den Rekorder, der nach dem zweiten Schlag aus geht.) Alter Scheißdreck.

(Es klingelt. Karli öffnet und empfängt Susanne.)

Susanne: Hallo.

Karli: Hallo. Kann ich dir was anbieten?

Susanne: Hast du Alkoholisches da?

Karli: Wodka?

Susanne: Wodka ist super. (Karli bringt, Susanne trinkt.) Und alles gut?

Karli: Gut ja.

Susanne: Bei mir auch.

Karli: Und mit Luggi alles in Ordnung?

Susanne: Alles in Ordnung? Was heißt schon alles in Ordnung?

Karli: Was heißt das schon? Alles in Ordnung.

Susanne: Und bei dir?

Karli: Alles gut. Ja.

Susanne: Sehr schön. Bei uns auch.

Karli: Prima. – Darf ich dir eine Frage stellen? (Susanne trinkt.) Das sollst du nicht falsch verstehen. (Pause.) Ich meine, ich kann mir viel einbilden.

Susanne: Gibst du mir einen Kuß?

Karli: Ich habe dich sehr umständlich eingeladen. (Susanne trinkt.) Hältst du es für eine Schwäche bei einem Mann, wenn er an seinen Freundschaften festhält, obwohl sie wahrscheinlich der Stein am Bein sind, der den weiteren Aufstieg schwer bis fast unmöglich macht zur Sonne?

(Sie schaut ihn sehr ernst an.) Was hat denn der Luggi je für mich getan? Er hat mich immer nur ausgenutzt, die linke Sau! Wenn er nicht wäre, säße ich ganz woanders. Selbst wir zwei würden schon lang ficken.

Susanne: Karli.

Karli: Ja?

Susanne: Darf ich in dein Bett?

Karli: Olé.

Susanne: Vorher muß ich kurz noch mal in dein Bad. (Sie stolpert in die Richtung.)

Karli: Olé.

 

 

Unter den Dingen IV: Die Prüfung

 

(Luggi vor einem Spiegel.)

 

Luggi: Viel durchgemacht? – Viel durchgemacht habe ich auch. Durch jede Sekunde muß man durch, durch jede Nacht. Der Älteste hat immer am meisten hinter sich und vor sich – wer weiß das schon? Immer Scheiße, wenn die Väter die Söhne beerdigen. Wer sich zusammenreißt, paßt stückchenweise leichter durchs Gitter. Das ist keine Weisheit, für die man auf die Straße gehen muß, um sie zu finden, die bekommt man in die Wiege. – Oh, entschuldige, das ist mir jetzt rausgerutscht, aber um dich ultimativ zu bemitleiden, vergißt du in deinen Erzählungen immer, daß Glas durchsichtig ist, daß „die“ (Macht Anführungszeichen in der Luft.) euch nicht die ganze Welt geklaut haben.

            Was wäre, wenn wir uns nie getroffen hätten? Dann ging’s mir nicht schlechter, aber dir. Ich habe eine Idee, ich werde dir aufschreiben, wieviel das Gute, das ich dir getan habe wert ist, dann siehst du mal, wenn wir uns das nächste Mal treffen, wieviel Geld du wirklich nicht hast. Ha! Das ist mal eine gute Idee. (Holt Zettel und Stift. gerade in dem Moment, als er losschreiben will, klopft es an der Tür.) Nur einen Augenblick. (Er öffnet dem Direktor.) Sie? Paßt irgendwas nicht? Bin ich im Verzug? Und wenn ja, bin ich gerade dabei, den Schaden aufzuholen.

Direktor: Nein, lieber Luggi, alles bestens. Ich komme, um zu bezahlen.

Luggi: Das ist mal eine schöne Überraschung in dieser Zeit der Krise, aber auch Bewährung und Chance.

Direktor: (Gibt ihm einen Umschlag.) Jetzt übertreib mal nicht.

Luggi: Das fühlt sich sexy an.

Direktor: Greif ruhig mal rein.

Luggi: (Blickt in den Umschlag.) Das ist mehr als ich verdiene.

Direktor: Das finde ich nicht. Aber schau mal raus in den Kofferraum, da liegt zumindest eine Antwort auf viele Fragen.

(Luggi raus. Der Direktor entdeckt den Zettel, schaut eine Zeitlang darauf, plötzlich schreibt er was drauf, faltet das Papier und muß furchtbar über seinen Scherz lachen. Luggi kommt sprachlos mir einem Gewehr zurück.)

Direktor: Was sagst du jetzt?

Luggi: Das kann ich nicht annehmen. Sie bezahlen mich, damit ich mitspiele, Sie bezahlen mich gut. Und in gewisser Weise verrate ich einen Freund, das ist eine Menge, aber das ist zuviel. Haben Sie dafür keinen anderen?

Direktor: (Nimmt lachend das Gewehr.) Natürlich habe ich das. war nur ein Test der Loyalität und der Moral, die viel höher ist. Denk nur, wenn die im Zweiten Weltkrieg nicht mitgemacht hätten, dann wäre der nach zwei Wochen vorbei gewesen. Ich bin stolz auf dich.

Luggi: Ich auch.

Direktor: Früher habe ich die Mitarbeiter immer aufgefordert, mit mir zu schlafen, und wenn sie’s gemacht haben – zack – waren sie draußen, so schnell konnten sie gar nicht schauen. Das galt freilich nur für die helle Seite meiner Geschäftchen, von denen die – du weißt schon, wer – wissen dürfen.

Luggi: Ehrlich gestanden weiß ich nicht.

Direktor: Na, die Bullen, die P-O-L

Luggi: -lizei. Verstanden.

Direktor: Du kannst das Geld trotzdem behalten. Oder gib mir, sagen wir, 700 zurück.

Luggi: (Gibt ihm die Scheine.) Dann ist es immer noch ziemlich.

Direktor: Das paßt schon. Diesmal.

Luggi: Wo Sie diesmal sagen –

Direktor: Ja?

Luggi: Mir fällt gerade ein, wie wir uns kennengelernt haben.

Direktor: Stimmt. Mir auch. Eine Geschichte.

Luggi: Ja, wahr.

(Ein Lichtwechsel. Musik zur Untermalung: Ein Hit von vor zehn Jahren. Wenn sie es nicht sowieso schon machen, sitzen Luggi und der Direktor sich gegenüber wie bei einem Vorstellungsgespräch.)

Luggi: Was wollen Sie?

Direktor: Sie kennenlernen.

Luggi: So?

Direktor: Hier steht, Sie seien in der Werbung gewesen.

Luggi: Stimmt nicht.

Direktor: Aber es steht hier.

Luggi: Blödsinn.

Direktor: Wenn ich Sie nun spontan bitte, sich einen Werbespruch für unser Unternehmen einfallen zu lassen, der vor allem junge Familien mit Kindern anspricht.

Luggi: -

Direktor: Nun?

Luggi: Was machen Sie eigentlich?

Direktor: Ich?

Luggi: Was verkaufen Sie hier? (Schaut sich um.) Sieht solide aus.

Direktor: Ist es auch.

Luggi: Wie lange dauert das noch?

Direktor: Wieso?

Luggi: Ich habe einen Termin bei meinem Drogenberater.

Direktor: Wie bitte?

Luggi: War ein Witz.

Direktor: Ach so. – Wir haben es gleich. Was sind denn Ihre Gehaltsvorstellungen?

Luggi: Wollen Sie mich einstellen?

Direktor: Eventuell.

Luggi: Ja oder nein? Lebe ganz gut von der Sozialhilfe, muß ich überlegen, ob ich das aufgebe.

Direktor: Allerdings.

(Lichtwechsel. Musik aus.)

Direktor: Du hast mich damals verwirrt.

Luggi: Sie mich auch. So haben wir uns kennengelernt, wohnen wir nur zehn Häuser weiter in derselben Straße, heißen gleich. Nur um uns zu unterscheiden, haben wir uns gegenseitig Karli und Luggi genannt. Der Beginn einer langen Freundschaft, sprichwörtlich, bis jetzt.

Direktor: Ja, er ist’s dann geworden und jetzt schon nicht mehr. Ich habe ihn auf die Straße gesetzt, die Zeit dazwischen zu einer Schleife gebunden, und er steht da wie zuvor.

Luggi: So geht’s.

Direktor: Und du? Immer noch Sozialhilfe?

Luggi: Nein, nein, habe zwischendrin geheiratet und lebe ganz gut von den Rechten.

Direktor: Sehr gut. Schöne Frau?

Luggi: Sehr schöne Frau, aber tot.

Direktor: Tot?

Luggi: Hat ein bißchen geschrieben. Romane, Erzählungen, ein Gedicht. Langt mir. Vor allem in der Weihnachtszeit kommt was. Geschenke, in letzter Minute. – Und was Sie vorhaben, verstehe ich nicht, finde ich aber spannend. Wieso er?

Direktor: Gute Frage. Laß es mich so ausdrücken: Weißt du eigentlich, welchen Aufwand es kostet, einen Menschen klein zu halten? – Ich habe durch das, was ich geleistet habe in meinem Leben nach dem Examen, ein bißchen das Gefühl, zehn Meter groß zu sein und das ganze chinesische Volk. Irgendwo muß die Energie hin, sonst müssen die mich nach meinem Tod noch als Strahlenmüll entsorgen. (Lacht.) Diese dummen Pfaffen, ja, da glaubt das Volk wirklich, David gewinne immer gegen den Goliath; Dabei war es nur die Ausnahme, verstehst du?

Luggi: Logisch.

Direktor: Weil du’s vorhin gesagt hast, ich heirate auch wieder.

Luggi: Gratuliere.

Direktor: Schöne Frau. Viel jünger und –

Luggi: Was?

Direktor: Soll ich dir einen Tip geben? Werde auch reich. Schnell. Es lohnt sich. Gerade im Alter. Ich muß das wissen.

Luggi: Thanks.

Direktor: You are welcome. (Ab.)

Luggi: (Nimmt das Gewehr und zielt ins Publikum.) Bumm.

 

 

7. Heim mit Sekt

 

(Susanne und Karli auf dem Heimweg von der Hochzeit des Direktors. Sie hat eine Sektflasche, er in der roten Samtjacke Luggis mit deutlichen Soßenflecken.)

 

Susanne: Schöne Braut.

Karli: Schöne Braut.

Susanne: Gut ausgesucht.

Karli: Ich habe sie schon vorher gekannt.

Susanne: Du Meister der Selbstbeherrschung, du.

Karli: (Blick zu ihr.) Ich kenne noch eine schöne Braut.

Susanne: Wer denn?

(Aus dem Dunkel tritt die Kontrolleurin in einer grauen Uniform mit einer Sammelbüchse an sie heran.)

Kontrolleurin: Gute Leute, habt ihr ein Herz für die wirklich notleidenden Menschen dieser Tage? Ich bin sicher, es wird Ihnen vergolten, irgendwann, irgendwie, irgendwo. Wer weiß?

Susanne: Frau, so gut wie wir aussehen geht’s uns leider oder vielleicht zum Glück nicht.

Karli: Ha!

Kontrolleurin: Was?

Karli: Ha!

Susanne: Was ist denn?

Karli: Das ist sie.

Kontrolleurin: Fehlt Ihnen was?

Karli: Mir nicht. Aber Ihnen bald.

Kontrolleurin: Was wollen Sie?

Susanne: Wer ist das?

Karli: Ja, du Dummerle, erkennst du sie nicht?

Susanne: (Geht so nahe an das Gesicht der Kontrolleurin, daß diese das Gesicht wegen des Alkoholgeruchs verziehen muß.) Nö.

Karli: Die Frau Kontrolleurin aus dem Zug.

Susanne: Zug?

Karli: In dem wir uns zum ersten Mal begegnet sind.

Kontrolleurin: Das ist ja rührend.

Karli: Rührend wird es gleich für Sie, besser gesagt für Ihre Knochen.

Susanne: Ach so.

Karli: Die, die dir die saftige Strafe gegeben hat.

Susanne: Ja die.

Karli: Darf ich mal? (Nimmt den Sekt, trinkt daraus.) Sagen Sie Entschuldigung zu meiner Freundin.

Kontrolleurin: Hilfe.

Karli: (Schüttet ihr einen Schluck über die Jacke und gibt den Sekt Susanne zurück.) Na?

Susanne: (Schüttet auch was drüber.) Sag Entschuldigung für die saftige Strafe, die du mir gegeben hast.

Kontrolleurin: Das ist Sachbeschädigung, was Sie da machen.

Susanne: Und das, was du machst, wohl nicht? – Das ist Menschenbeschädigung.

Kontrolleurin: Sie bekommen eine Anzeige.

Karli: (Tritt ihr gegen die Beine, daß sie hinfällt.) Was will sie jetzt machen, die alte Hexe?

Kontrolleurin: Hilfe.

Susanne: (Schüttet noch einmal.) Alte Hexe.

(Karli entreißt ihr die Sammelbüchse, tritt darauf, um so heftiger, als sie nicht kaputtgeht.)

Kontrolleurin: Das ist Diebstahl, was Sie da machen.

Karli: (Wirft die Büchse an die Wand, so daß sie zerbricht und ca. zwei Münzen herausfallen.) Scheißegal ist uns das und weißt du, warum? Weil der Wind jetzt aus einer anderen Richtung weht, weil wir jetzt die entscheidende Stufe hochgestiegen sind und nie wieder Bahn fahren müssen. Tja, was sagst du jetzt? Jetzt hast du keine Macht mehr über uns, alte Hexe. Oder was willst du nun machen? Keine Ausnahme? (Öffnet seine Hose und beginnt, auf sie zu urinieren. Mit einem lauten Schrei tritt sie in die Quelle des Übels und kann entkommen, Karli gekrümmt.)

Susanne: Na, warte nur, der Tag wird kommen, da wendet es sich und dir geht es schlecht. (Hebt drohend die Faust.) Euch allen geht es schlecht, die ihr da oben im Reichtum schmarotzt. Komm mit, mein Lieber. (Berührt ihn falsch.)

Karli: Au, du dumme Kuh.

 

 

Die Texte IV: Genitivrocker

 

Wir hatten ein schönes Wochenende erlebt

Wieder nach Hause fahren

Und Briefe schreiben

Weit weg.

 

Hansi, Hansi – hörst du mich?

Vielleicht paßt dir das nicht.

 

Was hätte aus uns werden können

Letzte Nacht?

Fehl ich dir das nächste Mal ein bißchen mehr?

Paß bloß auf, ich brech wieder rein.

Und du dann? Luft umarmen?

Wär dann gern bei dir – ohne Scheiß.

 

Sag ruhig noch mal

Genitivrocker (That’s what we are)

(4 X)

 

 

8. Auseinandersprache

 

(Luggi mit Gewehr und Karli im Zimmer.)

 

Luggi: Ich kann das akzeptieren mit der Frau, das ist in Ordnung, so geht das Spiel und ich spiele es nicht im ersten Jahr, irgendwann werden die Karten neu gegeben.

Karli: Das denkst du, aber verlieren wirst du immer. Das weißt du.

Luggi: Laß mich bitte erst ausreden.

Karli: Laß mich, ich wollte das nur kurz einschmeißen.

Luggi: Ich hab’s zur Kenntnis genommen. Also, was ich sagen wollte. – Moment, ich glaube, ich habe den Faden verloren.

Karli: Und die Frau.

Luggi: Wie?

Karli: Du hattest mir gerade offiziell die Frau überschrieben, als wir stehen blieben.

Luggi: Genau, das war’s, also, nicht ganz genau, aber sagen wir also gut. – Nun, was ich sagen wollte und auch immer noch will, was ich dir unverzeihlich übel nehme, ist das mit der Jacke.

Karli: Ja, das war nicht gut.

Luggi: Nein, das ist echt nicht in Ordnung. Ich meine, ich habe sie geliehen von meinem Cousin und er hat einen Haufen Ärger und glaub nicht, daß mich das nicht berührt, ganz im Gegenteil.

Karli: Meinetwegen, aber meine Religion gebietet es mir zu jeder Mahlzeit zwei Löffel Soße auf meiner Jacke zu verrühren.

Luggi: Ich dachte, du glaubst nicht an Gott.

Karli: Auch das habe ich dir schon mal erklärt, aber du hörst mir ja nicht zu, du hörst mir überhaupt nie zu.

Luggi: Wenn ich das gewußt hätte, wäre ich gar nie dein Freund geworden.

Karli: Freund, Freund. Ich bin vielleicht dein Freund, aber du, du warst niemals meiner.

Luggi: Jetzt ist es auf einmal wieder meine Freundschaft.

Karli: Hör auf, es hat keinen Sinn zu streiten. Es hat sich was verändert. Du kennst die alte Geschichte von dem immer Oberen und den Unteren, dem ewigen Gewinner und den ständigen Verlierern. Das wird dir nicht zum ersten Mal so gehen, daß du eine Frau an den nächsthöheren abgeben mußt. In dem Fall wird sie sicher irgendwann auch zu klein beim weiteren Aufstieg und nach unten zurückgereicht. Wenn du solange warten willst, kein Problem.

Luggi: Kann ich jetzt noch nicht sagen, bin schließlich keine Maschine. Muß man absehen.

Karli: Keiner erwartet von dir heute eine Entscheidung.

Luggi: Apropos. Dann ist damit unsere Freundschaft beendet. (Gibt ihm das Gewehr.)

Karli: Es wird das Beste sein und außerdem: Was bring ich dir? Ich würde dich sowieso nur ausnutzen und im wichtigen Moment fallen lassen wie einen heißen Stein. Das ist die Realität. Willkommen in meiner Welt.

Luggi: Das mag jetzt womöglich sarkastisch klingen. Ich wünsche dir nichts Schlechtes.

Karli: Ich verstehe das voll und ganz.

Luggi: Und wenn es dir mal warm ums Herz wird, dann denk einfach nicht lang nach, ruf an und wir trinken ein, zwei Bierchen miteinander.

Karli: Du kannst immer noch nein sagen.

Luggi: Ich kann immer noch nein sagen.

Karli: Du bist einer der wenigen da draußen, mit denen man noch offen über so etwas reden kann. Danke.

Luggi: Ich weiß, ich habe nichts zu verlieren.

Karli: Ich schon. Do Swidanja.

 

 

Die Texte IV: Leberbauch

 

Gestern ist mir was passiert:

Als sie sich schon viel zu viel von sich

Verraten hart, sagt sie:

„Kennst du eigentlich Johnny?“

„Johnny?“

„Ja, der überall umsonst reinkommt.

Der mit dem Leberbauch.“

„Leberbauch?“

„Ja, der Johnny bekommt einen Leberbauch.“

 

Johnny – 57

Johnny – 58

Johnny – 59

- 60 -

 

Wie sie dann aufgestanden ist,

Weißt du, was sie dann gesagt hat?

„Wenigstens redt der.“

„Wer redt?“

„Na, der Johnny, der bei der Ampel wohnt.“

„Der redt?“

„Ja, der erzählt von seinem Brudern,

Der mit dem Lebernbauch.“

 

Johnny – 57

...

 

 

9. Römisches Festmahl

 

(Die Kontrolleurin und der Sicherheitsbeamte liegen als römisches Herrscherpaar auf zwei Eßbetten.)

 

Sicherheitsbeamter: Sklave! Wo bleibt er denn? Was macht er denn? Sklave!

Kontrolleurin: Beruhige dich, er wird schon gleich kommen. Vielleicht muß er noch was „erledigen“. (Macht Anführungszeichen in der Luft.)

Sicherheitsbeamter: Ich mich immer beruhigen. Ich habe keine Lust mehr. Heute spürt er die Rute des Richterstabs. Dagegen kannst du auch nichts ausrichten. – Sklave!

Kontrolleurin: In Wirklichkeit ist es mir egal.

Sicherheitsbeamter: Wenn nur ein Wort nicht gelogen wäre aus deinem Mund, dürfte auch er wieder von meinen Früchten naschen.

(Karli ist als Sklave in eine Tunika gekleidet herangetreten.)

Karli: Der Herr ruft.

Sicherheitsbeamter: Ja – ja – ja.

Karli: Was wünscht der Herr?

Sicherheitsbeamter: Ja – ja – ja – weiß nicht.

Kontrolleurin: Weiß er denn nicht, was für ein Tag heute ist?

Karli: Tag? (Sie flüstert ihm ins Ohr.) Was?

Kontrolleurin: (Flüstert vernehmlich.) Der Namenstag des Kaisers.

Sicherheitsbeamter: Mein Namenstag! – Ein Festmahl. Bring – Dichter – Tänzer – Weiber – Säfte – Pappbecher – was weiß ich?

Karli: (Holt aus seinem Gewand Trauben heraus.) Trauben?

Sicherheitsbeamter: Trauben – Trauben sind super. (Fängt an zu essen und seiner Frau anzubieten.)

Kontrolleurin: Sehr gut.

Karli: Mehr Wünsche?

Sicherheitsbeamter: Hm – dreh dich um.

Karli: Wie?

Sicherheitsbeamter: Umdrehen.

Karli: Also gut. (Tut so.)

Sicherheitsbeamter: Vielleicht die Tunika hoch.

Karli: Bitte nicht, lieber Herrscher.

Sicherheitsbeamter: Namenstag. (Karli gibt nach.) Schau Kaiserin.

Kontrolleurin: Wieso?

Sicherheitsbeamter: Schau doch nur.

Kontrolleurin: D’s  ´st  ´mm´r  d´ss´lbe.

Sicherheitsbeamter: Hoho. (Wirft auf eine Traube auf Karlis Hintern.) Los auch. (Die Kontrolleurin macht widerwillig mit solange, bis beide gleich Spaß an der Sache haben und laut kichern.) Das macht uns Spaß.

Kontrolleurin: Ja.

Sicherheitsbeamter: So, so. (Steht auf und tritt Karli um.)

Kontrolleurin: Au!

Sicherheitsbeamter: Komm her. Das ist auch lustig.

Kontrolleurin: Wirklich? (Berührt Karli leicht mit dem Fuß.)

Sicherheitsbeamter: Nein, du mußt richtig. (Tritt kräftig in den kreischenden Karli.)

Kontrolleurin: So. (Genauso.)

Karli: Bitte hören Sie auf, hohes Herrscherpaar. Ich, also gut, will alles tun, was Sie wollen, nur aufhören müssen Sie, bitte.

Sicherheitsbeamter: Alles?

Karli: Ja, ja.

Sicherheitsbeamter: Es ist nicht viel, sozusagen, was ich will.

Karli: Ja dann.

Sicherheitsbeamter: Nur eine Frage sollst du mir beantworten: Was ist mit dieser Frau? (Deutet auf die Kaiserin.)

Karli: Nichts.

Sicherheitsbeamter: Was soll das heißen?

Karli: Kaiser. Einerseits ja, andrerseits ich weiß es nicht.

Sicherheitsbeamter: Er lügt!

Karli: Nein.

(Der Sicherheitsbeamte prügelt auf Karli ein.)

Kontrolleurin: (Geht dazwischen.) Er hat gar nichts gemacht.

Sicherheitsbeamter: (Zornigen Blicks.) Ihr seid doch alle unter derselben schmutzigen Decke. (Ab.)

Kontrolleurin: Das war knapp, das nächste Mal bist du besser ganz still, sonst liegen wir offen.

Karli: Entschuldigung, ich habe gar nichts gesagt.

Kontrolleurin: Ich kann dir gar nicht böse sein, mein Süßer.

Karli: Will auch wissen, wofür.

Kontrolleurin: Hilfe. Hilfe.

Sicherheitsbeamter: (Kommt hereingestürmt mit einem gefährlich-antiken Greifwerkzeug.) Und das an meinem Namenstag.

 

 

10. Nur ein Traum. Alles.

 

(Susanne und Karli in einem Bett. Er erwacht schreiend wie aus einem Traum.)

 

Susanne: Wie spät ist es?

Karli: Was?

Susanne: Kann ich noch liegen bleiben?

Karli: Nein. Nein.

Susanne: Wieso?

Karli: Ich habe alles falsch gemacht. Wie war ich nur so blind?

Susanne: Blödsinn. Irgendwas sieht man immer.

Karli: Ich muß ganz dringend telefonieren. (Rennt raus.)

Susanne: (Schreit ihm nach.) Du bist verrückt. Das ist zuviel für dich. Wenn du nur eine Sekunde atmen könntest wie ein normaler Mensch, würdest du erkennen, was hier los ist.

Karli: (Kommt zurück. Brüllt.) Wo ist das Telefon? Wach auf, Susanne, ich will reden. Ich will eine menschliche Stimme hören.

Susanne: Ich bin hier.

Karli: Du Sau.

Susanne: Was hast du denn?

Karli: (Prügelt auf die leere Betthälfte.) Steh endlich auf. Verstehst du das nicht? Uns kann keiner helfen. Auch nicht wir selbst. Das versucht dir Luggi einzureden. Susanne? Sag doch was.

Susanne: Luggi ist ein verlorener Alkoholiker. Er hat nicht nur uns auf dem Gewissen. Ich kann dir das schon lang sagen. Ich kenne ihn kurze Zeit besser als du.

Karli: Rühr dich endlich. Du hast gewonnen. (Schlägt wie ein Wahnsinniger auf das Bett ein.) Hörst du nicht? Du hast gewonnen. Du hast alles von mir. Ich geb nach. Die Welt ist jetzt so, wie du es dir wünschst. Nimm doch. Los. Nimm.

Susanne: Hierbinichhierbinichduidiot. Was ich dir sage, zählt nichts. Als du mich nie verstanden hast, konntest du reagieren, weil du was gehört hast, jetzt bist du taub und ich höre zum ersten Mal, daß wir nie dieselbe Sprache gesprochen haben. Komisch. Ob das immer so ist? (Karli hat sich beruhigt und streichelt weinend die Stellen, auf die er gerade noch geschlagen hat, dazu stößt er unartikulierte Laute aus.)

Was? (Sie nimmt ihn in den Arm, schaut ihm in die Augen und kann ihren schwäbischen Dialekt verlieren.) Willst du mir was sagen? (Er vergräbt sein Gesicht im Bett. Sie steht auf.) Ich habe dich jetzt verstanden. (Er blickt entsetzt zu ihr.) War nicht schwer, unabhängig davon, was die anderen Leute sagen, die dummen. Du kannst es sagen. – Na los. – Du wolltest nur hier rein. (Deutet auf ihre Leibesmitte.) Das ist jetzt leichter, wenn’s raus ist, nicht wahr? (Er kniet sich sie umarmend vor sie.)

Hör zu, du kannst dein Leben ändern, gern. Laß mir nur meine Ruhe. Halt mich auf dem Laufenden, vielleicht springe ich wieder mal auf den Zug auf, kann sein. Du weißt ja, wo du mich findest: Immer da, wo du hin willst.

Da gibt’s nichts zu lachen. Leben heißt kaputtmachen und Kaputtmachen kostet. Kein billiges Leben.

Deine Ruhe will ich haben, würde sie auf den Putz hauen wie ein Dutzend Eier. Aber sie ist besser bei dir aufgehoben; du zahlst nichts damit und läßt sie sie trotzdem deinen Luxus nennen. Deine Ruhe möchte ich haben.

(Blick nach unten.) Was ist denn? - Eingeschlafen. (Sie legt ihn aufs Bett und deckt ihn zu.) Das hat dir gut getan nach dem Schock, mal die andere reden zu lassen. Ich kann dir noch ein paar reinholen, aber das ist dir dann auch wieder zuviel. Ich weiß das. Viel mehr wissen das jetzt. Keiner macht dich kleiner. War es das, wovor du Angst hattest, die ganze Zeit?

Wirklich? Süß.

(Sie bläst das Licht aus.)

 

 

Die Texte V: Selbstauskunft

 

Wenn du eine schwere Jugend hast,

Wenn dich deine Frau

Wegen eines anderen nicht liebt,

Wenn du noch nie hast,

 

Dann frag mich nicht,

Wie ich bin,

Komm nämlich in keine

Schublade mehr rein.

Uns sei dies der Grund,

Warum sie keinen von uns Liedern

Im Radio bringen.

 

Ehrlich - wir wollen ehrlich sein,

Nicht nur so klingen.

Obwohl du Recht hast, wenn du sagst:

„Was kann denn ein Song sonst noch so tun?“

 

Frag mich nicht...

 

Zweitens brauch ich auch nicht

Um die Welt zu gehen.

Bin mehr so für daheim.

Du weißt schon: Wohnzimmer und so.

 

Frag mich nicht....

 

 

11. Tata, Hiob

 

(Morgen. Karli, in seinem Bett, wird geweckt vom Telefon. Schlaftrunken greift er den Hörer und zum zweiten in Susannes leeres Feld.)

 

Karli: Ja. – Guten Morgen. – Kann nicht sein. – So, wie ich’s sage: Kann nicht sein. – Ja, ist gut, ich nehme das auf mich, das sind ein, zwei Anrufe – Guter Mann, nur weil ihr Bankbeamtenidioten unfähig seid. - Das Geld ist da, ich hab’s Schwarz auf Weiß. (Geht auf und ab.) - Meinetwegen, so gut wie Schwarz auf Weiß. Wir sind Ehrenmänner. Da gilt der Handschlag mehr als der abgehackte Finger. (Entdeckt ein Blatt Papier auf dem Boden und hebt es auf.) - Das werden wir sehen. – Ja, sagen Sie ruhig Ihrem Staatsanwalt bescheid. Na shledanou. (Legt den Hörer auf und beschäftigt sich mit dem Papier.)

Luggis Stimme:

Sehr Herr,

damit hast du nicht gerechnet, diese Schrift schnell wieder zu lesen. Oder hast du sie überhaupt schon irgendwo mal gelesen? Ja, ich glaube, mich zu erinnern, damals, als du im Schleißinger eingeschlafen bist, da habe ich dir eine Notiz dagelassen, als ich ging, du sollest meine Biere bezahlen, das war diese Schrift. Falls ich diese Rechnung noch offen habe bei dir, wird es dir unangenehm sein sie einzufordern, denn ich schreibe dir, daß deine Frau weg ist.

Warum ich? Nun – damals, als sie aus mir rausging und ich wußte, wohin sie geht, sagte ich zu ihr, daß ich ihr diesen Brief schon mal aufsetzen würde, damit später alles erledigt sei und es schneller gehe, wenn sie es sich noch mal richtig überlegt habe.
Dir mag das jetzt vorkommen wie eine Art kurzzeitige Aufhebung der Gesetze der Schwerkraft. Gut. Gibt’s auch, schließlich ist die Erde auch im Weltraum. Oder es tröstet dich, wenn du denkst, daß du einen neuen Stern erreicht hast und die alten gerade wieder an ihre Plätze rutschen.

So oder wie, am besten kann die Betreffende es selbst ausdrücken, wenn sie rausgeht: „Du hast es verdient.“

Dein – Klammer auf – Freund – Klammer zu

Luggi

 

(Karli legt den Brief aufs Bett, versucht kurzzeitlich und vergeblich darauf zu onanieren und wirft ihn zerknüllt ins Eck. Das Telefon klingelt.)

Karli: Hallo. – Nein, heute Abend. – Natürlich haben die was aufgenommen. – Ganz sicher. Gerade ruft ein Idiot von der Bank an, alle Schecks seien geplatzt. Ich zahle den ganzen Scheiß aus der eigene Tasche und das heißt, daß es heute große CD-Präsentation gibt mit Konzert und Band und Weibern und allem. Das ist so sicher wie die – Schwerkraft. – Das interessiert mich nicht. Hören Sie zu, Sie erzählen mir, daß die Musiker, die ich bezahle, keinen Ton aufgenommen haben und mit dem Geld, das ich bezahle, irgendwo, wo’s wahrscheinlich warm ist, sich das Leben schön machen, Sie erzählen mir das am Telefon und erwarten ernsthaft von mir, daß ich nicht laut loslache? – Also gut, dann lache ich nicht. (Legt auf.) Das geht tief. (Lachen der Verzweiflung. Er nimmt das Gewehr und schiebt es sich so weit wie möglich in den Mund. Die Türklingel.)

(Schlurfend öffnet er der spendensammelnden Kontrolleurin.) Erschrecken Sie nicht. Sie haben nichts zu befürchten. Ich bin heute unten. Kommen Sie rein. (Sie folgt ihm in den Raum.) Wollen Sie was trinken? (Er hält ihr die Wodkaflasche hin, sie schüttelt den Kopf.) Keine Sorge, ich trinke auch. (Trinkt.) Nichts vergiftet. Nehmen Sie. (Sie nimmt und trinkt vorsichtig.) Gut, gell? Sind Sie eigentlich immer noch so für die Bedürftigen, die Armen? (Sie nickt.) Dann habe ich eine gute Idee, wenn ich darf. – Schlafen Sie mit mir. Wenn Sie den ganzen Weg von hier nach Afrika gehen, werden Sie keinen finden, der mehr verloren hat wie ich. Ich habe verloren, wie nur einer verlieren kann. (Sie zuckt mit den Achseln.) Ausziehen? (Sie deutet ihm an, daß sie telefonieren will, nur einmal, kurz; er läßt sie.) Verstehe. Soziale Verspätung. (Sie grunzt ins Telefon und gibt mysteriöse Klopfgeräusche.) Alles klar jetzt. (Sie starrt ihn an. Er legt das Gewehr auf den Boden und zieht sein Hemd aus, sie gibt ihm verstehen zu warten, holt eine Schere hervor, schneidet die Laken in Streifen und beginnt, ihn ans Bett zu fesseln.) Verstehe. Letzter Fall vor Weihnachten.

(Es klingelt, die Kontrolleurin läßt den Sicherheitsbeamten rein. Sie leeren die volle Sammelbüchse, erwärmen eine Münze mit einem Feuerzeug und drücken sie mit der Schere auf die Brust des laut „Bitte nicht“ -schreienden Karli, dann muß er sie schlucken, Münze für Münze, danach wird er blutig geschlagen. Die Kontrolleurin und der Sicherheitsbeamte gehen raus und lassen den Karli liegen bis zum Ende des Stücks.)

 

12. Januar 2004

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