Die Zukunft war früher besser
Dance 2004 unterm Strich

Die Teppiche sind weggerollt, die Tänzer sind nach Hause gefahren, "Dance 2004" ist vorbei, München wieder eine ganz gewöhnliche Stadt in Mitteleuropa für die nächsten zwei Jahre. Letzte Woche wurden vom Stadtrat die Mittel für "Dance 2006" bewilligt, und ebenfalls beschlossen ist, dass dieses Festival ein anderes Gesicht haben wird: Cornelia Albrecht, die nach 1998 und 2002 auch heuer die Kuratorin der Veranstaltung war, wird es beim nächsten Mal nicht mehr sein.
Unter der Überschrift "Allianzen - Differenzen" hat sie ihre Kontakte, ihre Allianzen, die von Kanada bis Israel reichen, genutzt, um Gruppen einzuladen, die die Vielfalt, die Differenzen, dessen aufzeigen, was man international mit dem Begriff Tanz nur noch grob umreißen kann. Da war zum Beispiel die "Akram Khan Company", die traditionell Indisches mit modern Europäischem kunstreich verknüpft, und da war die "Michael Laub Remote Control" aus den Niederlanden mit privat-persönlichem Märchenspiel. Das Festival zog sich durch die gesamte Stadt: Bespielt wurde das Prinzregententheater mit der historisch wertvollen Produktion "Joe" aus Kanada, genutzt wurde die intime Unmittelbarkeit der Galerie der Künstler von Anthony Rizzi für seine Uraufführung von "Just Die". Auffallend in all der Buntheit ist die Bereitschaft zum Diskurs und zur Kollaboration mit anderen Kunstformen. Die israelische "Batsheva Dance Company" setzt sich mit den Lebensbedingungen ihres Heimatlandes auseinander vor dem Hintergrund der paradoxen politischen Lage, Cesc Gelabert tanzt in Helga Pogatschars multimedialer Klangkomposition "Traumtext" nach Heiner Müller.
Also alles super, wenn man dazu nimmt, dass die Zuschauer zahlreich genug strömten, um die meisten Abende auszuverkaufen? Nicht ganz. Tanztheater hat in München immer noch einen Randstand. Während es gelungen ist, in Berlin und Wien große, jährliche Tanzfestivals zu etablieren, muss sich das "Dance" sein Budget, das nur ein Bruchteil dessen ist, was in den beiden anderen Metropolen zur Verfügung steht, alle zwei Jahre neu vom Stadtrat genehmigen lassen. Auch waren heuer die großen Theaterhäuser wie das am Max-Joseph- oder das am Gärtnerplatz, keine Spielstätten, was allein schon deswegen wünschenswert wäre, um zusätzliches Publikum anzusprechen. Wenn Sebastian Nübling seine "Don-Karlos"-Inszenierung mit dem Label "Körpertheater" beklebt, dann sehen das sehr viele Menschen in den Kammerspielen, die von sich gar nicht wissen, dass sie einiges von dem bei "Dance 2004" Gezeigten lieben würden.
Diese unglückliche Behandlung beruht zum Teil auf Festival-Stiefmutter Lydia Hartl. Sie behauptet zwar in ihrem Begleitgrußschreiben, "Dance 2004"verstehe sich als ein Forum für den künstlerischen Austausch und gebe damit wichtige Impulse für die internationale Szene, glaubt aber anscheinend, dass dieser Austausch besser ohne sie vor sich geht: Weder bei der Eröffnung noch bei einer der weiteren Vorstellungen dieser immerhin vom Kulturetat mit 635000 Euro bezuschussten Veranstaltungsreihe war sie zu sehen. Dass Cornelia Albrecht ihrer Aufgabe beraubt wurde, liegt offensichtlich nicht an Mängeln in ihrer Arbeit, sondern an irgendwelchen persönlichen, die Lydia Hartl das Zusammenschaffen mit ihr unmöglich zu machen scheinen. Daran ist aber die Öffentlichkeit überhaupt gar nicht im Geringsten interessiert, wohl aber daran, einen relativ seltenen Kunstgenuss nicht kaputt gemacht zu kriegen und sich deshalb eine Wutfahrkarte nach Wien oder Berlin kaufen zu müssen. Es ist zu früh, um jetzt schon die Zukunft schlecht finden zu können, aber Angst darf man haben vor ihr.

Willibald Spatz
7. November 2004

Information

mehr Kritiken