Wirklich nichts?
Alexander Blühm inszeniert Machine von Anatol Blasch

Würde einer behaupten , dass der Mann seinem eigenen Täuschungsmanöver zum Opfer falle, fiele er vielleicht selbst hinein. Alexander Blühm hat im Juni das zweite Stück seines Alter Ego Anatol Blasch uraufgeführt. Machine - ein Western. Im Vorfeld war er keine Sekunde müde zu betonen, wie unwichtig ihm das sei und dass das Ganze sowieso kaum etwas mit Theater zu tun habe. Noch drei Wochen vor der Premiere sagte er, dass er endlich die letzten Szenen schreiben müsse und zwei Wochen vorher, dass ihm noch eine Schauspielerin dringend fehle. Antiwerbung, übertriebene Bescheidenheit, Erwartungen unter den Gefrierpunkt schrauben. Was sollte da noch kommen?
Das Stück hat Handlung, verzichtet aber selbstbewusst darauf, daraus einen Spannungsbogen zu schlagen. Machine, ein Held, und sein bester Freund Joey Labamba sind in der Stadt. Ein Mord geschieht, der Sheriff beauftragt Machine ihn aufzuklären. Dessen eigentliches Problem ist aber die unerfüllte Liebe zu einer Bardame, deren Gebärmutter der Barbesitzer Holger geraubt und auf seiner Theke ausgestellt hat. Kann aus dieser Vorlage Theater werden? Oder taugt sie nur zu einer Nummernrevue?
In seiner Umsetzung des ersten Anatol-Blasch-Stückes Der Bauernvergewaltiger nutzte Alexander Blühm die Textvorlage vor allem zur Selbstdarstellung, keine Szene gab es da, die er nicht an sich riss. Obwohl er sich durchaus begnadet inszenieren kann, war nun zu befürchten, dass sich herausstellt, dass er nur dies kann.
Tatsächlich spielt er in Machine nur zwei Rollen, die des Sheriffs und die des Schlagersängers Franz Kafka de Jesus. Er ist das einzige Mitglied seines zwölfköpfigen Ensembles, das die Bühne verlässt und nur zu den beiden Auftritten wieder betritt. Der Rest der Schauspieler verbringt die 70 Minuten auf der Spielfläche in typischer Haltung ausgestellt und gerät zum Einsatz in Bewegung. Die Aufführung beginnt vor dem Stück. Das Publikum wird aus dem Foyer auf die Plätze geführt, immer hat aber ein Zuschauer noch etwas verloren, muss zum Beispiel ein Zigarette fertig rauchen, schnell noch aufs Klo oder eine SMS schreiben. Der Regisseur steht am Eingang und kommentiert für die bereits Sitzenden den Stand der Dinge draußen. "Wir fangen gleich an, nur noch ausdrücken." Alle warten und reden über den Bühnenrand miteinander über Fußballergebnisse zum Beispiel. Die Atmosphäre in einem normalen Theater, die daher kommt, dass es zwei Parteien, eine darstellende und eine zuschauende gibt, verschwindet. Wenn der Letzte sitzt, geht das Licht aus.
Blühm betritt den Raum und leuchtet jeder Figur ins Gesicht mit einer Taschenlampe, macht sie dem Zuschauer bekannt mit den Eigenschaften, die zur Personenbeschreibung des Stücks gehören. Angenehm unelegant. Die theatrale Idee der Gruppe Der Keil, die sich für diese Produktion verantwortlich macht, ist, skurrile, absurde Situationen zu schaffen, in denen dann aber wieder absolut logisch gehandelt wird. In der ersten Spielszene fallen die zwei Musiker von ihren Stühlen übereinander. Sie entdecken Machine auf der anderen Straßenseite, der zu schüchtern ist, zu ihnen herüberzublicken. Der folgende Dialog handelt davon, dass die Ankunft des Helden Übles bedeutet, und dauert trotz der Kürze des Texts mehrere Minuten, die letzten Wörter sind teilweise zehn Sekunden von den Resten ihrer Sätze abgetrennt, dazwischen reitet der eine mit seiner Hand über den Boden. Dann ist da plötzlich wieder Atmosphäre und Spannung, die gehalten wird während der gesamten Inszenierung durch sensationelle Dehnung und Verlangsamung: Der Sheriff schaut auf einen Birnbaum, nachdem er mit Kreide die Umrisse einer Leiche auf den Boden gezeichnet hat, eine halbe Minute lang, und löst so Lachkrämpfe aus. Jeder Blick, jede Geste wird zur Pointe.
Der Oberdunkle, ein Handlanger von Holger, soll Machine aus der Stadt treiben. Langsam kommt auf ihn zu, öffnet seine Schweineledertasche, entnimmt ihr diverse Gegenstände, entscheidet sich für ein Bügeleisen als perfekte Mordwaffe, muss aber ablassen, weil er nirgendwo eine Steckdose findet, dafür einen Meterstab, mit ihm misst er Machine, dessen Nase und eine Matratze ab, auf der sich Labamba während des gesamten Stücks mit den Bardamen abgibt. Er markiert die Stelle vor Machine mit Klebeband, legt die Matratze darauf, prüft, ob er darauf gehen kann und springt endlich Machine an den Hals, um ihm in zehn Zeilen klarzumachen, dass abhauen muss. Diese Szene funktioniert, dennoch wird sie dadurch gebrochen, dass ein Musiker aufsteht, auf die Langweiligkeit des Kommenden hinweist, Bier verteilt und ausdrücklich erlaubt, nun die Toilette aufzusuchen.
Alexander Blühm kokettiert brachial mit seiner Verweigerung, Geschichten zu erzählen. Er ignoriert Sexualität als menschliches Handlungsmotiv, beziehungsweise macht sich über sie lustig, wo er sie zulässt. Er erlaubt keiner seiner Figuren, sich zu entwickeln, obwohl es sich um ausgearbeitete Charaktere handelt. Es sind zwar keine natürlichen, sondern nur welche, die in seinen Stücken vorkommen könnten. Damit fehlt praktisch alles, was zum Funktionieren einer Inszenierung beitragen kann. Neu ist das nicht, das schreit zu sehr nach Daniil Charms streckenweise. Dennoch gelingt es ihm, aus diesem Nichts heraus, mit dem Zuschauer zu kommunizieren, dabei keinen Salonnihilismus zu zelebrieren, sondern in seiner Nichtaussage eine konsequente Haltung zu seiner Lebenswelt zu formulieren, das Lachen über die Schlechtigkeit der Welt als natürliche Reaktion darzustellen, die keiner weiteren Rechtfertigung bedarf. Damit befindet er sich in bester Gesellschaft mit seinem Vordenker Karl Valentin, wird vielleicht nur noch nicht so verstanden.
Momentan findet diese Geschichte fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Neun Aufführungen um halb elf abends im abgelegenen Theater Ensemble in Würzburg sind geplant. Den durchschnittlich zehn Besuchern redet er danach einzeln ein, sie hätten nichts Besonderes gesehen, solange bis sie in dem Glauben heimgehen. Das Ganze wird verschwinden, ohne wirklich wahrgenommen worden zu sein. Vielleicht passieren die wenigen wichtigen Dinge im Theater alle auf diese Weise

Willibald Spatz
22. Juni 2004

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