Sparsam, spannend und intelligent
„Die Entführung aus dem Serail“ in der Bayerischen Staatsoper

„Ich will euch eine Geschichte erzählen, die sich vor 300 Jahren so zugetragen haben könnte“, sagt eine schwarzgekleidete Frau, die gerade ihren Schleier vor ihrem Mund abgenommen hat. Damals wäre das nicht gegangen, in der Öffentlichkeit sein Gesicht zu zeigen, als Frau im Osten. Die Musik setzt ein und es fliegen nicht Teppiche, sondern Sofas herein. Es gibt noch viel zu entdecken beim Flanieren durch die bunten Bilder, die man schon im Kopf hat von jenem fernen Reich.
Eine Geschichte will sie erzählen. Sie weiß hoffentlich, dass sie sich da einiges vorgenommen hat, gerade in der Oper, wo meist die packenden Passagen durch Musiknummern unpassend zersägt werden. Ihr gehe es um den Spanier Belmonte, dessen Schiff von Piraten überfallen worden sei, dabei habe er entkommen können, nicht aber seine Braut Constanze, sein Diener Pedrillo und die Engländerin Blonde. Diese drei befänden sich jetzt als Sklaven in der Gewalt des Bassa Selim. Lange Zeit dauere die Suche nach ihnen schon, bis Belmonte nun endlich in Istanbul vor dem Tor zu Selims Palast steht, doch.... nein, nicht weiter, denn hier setzt die Handlung der Oper ein und es schadet nicht, sich den Rest dort zeigen zu lassen -  im Gegenteil, es lohnt sich.
Die Zwischentexte sind entfernt, dafür führt die Erzählerin kompakt die Handlung zum nächsten Musikstück, das ohne viel Schauspielerei souverän vorgetragen wird. Die Figuren sind auf den schwebenden Sofas platziert. Die Sprecherin steht unauffällig dabei, das Auge der Zuschauer auf der Bühne. „Er konnte sich frei im Palast bewegen“ heißt: Er sitzt und das Sofa unter ihm bewegt sich durch die Szene. Konsequenz muss im Theater keine Tugend sein. Konsequent wird das mit den Sofas durchgehalten bis zum Ende und auch der zweite, große Teil des sparsamen Regiekonzepts: Der Verzicht auf ein Bühnenbild zugunsten einer Computerbildschirmprojektion an der Rückwand, auf der eine Zeichnerin – permanent präsent auf der Bühne mit Laptop - die Position der Helden in einem Lageplan des Palastes nachmalt. Das sorgt für eine angenehme Heiterkeit. Konsequenz muss, kann aber eine Tugend sein. Hier durchaus, denn es funktioniert, bis zum Schluss mit diesen einfachen Mitteln einen fesselnden Raum  zu zaubern und es funktioniert auch, so eine Geschichte zu erzählen, der man gern zuschaut, mit Spannung und so spielt auch die Musik die Rolle, die ihr zugedacht ist: die Bilder in den Köpfen zu kolorieren.
Schlussapplaus: Der Regisseur Martin Duncan kommt auf die Bühne, links und rechts von ihm Herr Mozart und sein Librettist Christoph Friedrich Bretzner. Er führt die beiden zum Bühnenrand, wo sie ein jubelndes Publikum erwartet, und tritt selbst zwei Schritte zurück. Die beiden toten Männer blicken sich stolz in die Augen. „Wir haben es geschafft, die Menschen zu begeistern.“ Im Hintergrund steht Martin Duncan und lächelt leise. Ein feiner Mann, ein intelligenter Mann.
 

Willibald Spatz
14. November 2003

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