Don Juan
oder der steinerne Gast
von Molière

 

Personen:

Gusman

Sganarell

Don Juan

Donna Elvira

Pierrot

Charlotte

Mathurine

Ein Bettler

Don Carlos

Komtur

Don Luis

Erster Akt

Vor dem Schloß Don Juans

 

I.1

Sganarell.Gusman.

 

Sganarell: (Mit einer Tabaksdose.) Mir doch egal, was Aristoteles und die Herren Philosophie von sich geben, für mich ist der Tabak das Beste. Wer ohne ihn lebt, braucht überhaupt nicht zu leben. Er freut und läutert das menschliche Hirn, er reinigt die Seelen, und man wird durch ihn ein vornehmer Herr. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie lieb man sich fühlt, wenn man ihn verschenkt? Wie enthusiastisch man ist, wenn man ihn rechts und links austeilt? Man wartet nicht erst, bis jemand fragt, man kommt den Leuten zuvor! Wirklich, der Tabak verleiht ein Gefühl von Ehre und Männlichkeit. Doch genug davon. Reden wir an unserem vorigen Thema weiter. Mein lieber Gusman, deine Herrin, Donna Elvira, ist uns gefolgt, weil sie unser Aufbruch überrascht hat; du sagst, ihr Herz müsse brechen, wenn sie  Don Juan hier nicht wiederfinde. Ich fürchte, für sie wird sich die Liebe nicht lohnen. Mit der Zeit habe ich ein gewisses Gespür für den Ablauf dieser Angelegenheiten entwickelt.

Gusman: Er liebt sie, er heult vor ihr, er macht ihr peinliche Geständnisse, er seufzt, flucht und betet, er schwört ihr tausend Mal alles, er dringt in ein Kloster ein und holt sie raus. Und jetzt ist auf einmal alles nichts. Das verstehe ich nicht. Er geht weg.

Sganarell: Ich sage nur, daß Don Juan der größte Verbrecher ist, den die Erde jemals getragen hat, ein toller Hund, ein Teufel, ein Ketzer, der an nichts glaubt, nicht an den Himmel, nicht an die Heiligen und auch nicht an Gott oder an Gespenster. – Er hat Donna Elvira geheiratet; glaub mir, er hätte auch dich, ihren Hund und die Katze geheiratet, um sie zu kriegen. – Da kommt er. Pst!

(Gusman ab.)

 

 

I.2

Sganarell. Don Juan.

 

Don Juan: Paß auf: Eine andere hat Elvira aus meinem Herzen verjagt.

Sganarell: In diesem Fall, Herr, muß ich sagen, daß ich Ihre Methode nicht in Ordnung finde, nach allen Seiten Liebe auszuteilen.

Don Juan: Was? Soll man sich an die Erste fesseln, die einen juckt, soll man sich ihretwegen aus der Welt verabschieden und keine andere mehr anschauen? – Treue ist nur was für Idioten; alle schönen Weiber haben ein Recht darauf, uns zu reizen. Es ist der König der Genüsse, durch tausend Schmeicheleinheiten das Herz einer jungen Schönen zu zersetzen, Schritt für Schritt die kleinen Hindernisse zu überwinden, die sie uns entgegenstellt und sie ganz sachte dorthin zu führen, wo wir sie haben wollen. Aber hat man einmal gesiegt, dann hat man in ihr nichts mehr verloren. Ich fühle in mir die Kraft, sie alle zu lieben, und wie Alexander träume ich von einer anderen Welt, auf der ich meinen Feldzug der Leidenschaft fortsetzen kann.

Sganarell: Sie haben vor einem halben Jahr hier einen Komtur erstochen. Macht Ihnen das keine Angst?

Don Juan: Ach was! Scheiß auf das Böse, denk an das, was Spaß macht. Die Person, die ich meine, ist das niedlichste Geschöpf auf der Erde; ihr Verlobter hat sie hergebracht. Noch nie habe ich zwei gesehen, die einander so gern hatten. Sie wollen heute ein bißchen auf dem Meer spazierenfahren. Ich habe eine kleine Barke und Leute, mit denen ich die Kleine entführen werde.

Sganarell: Ach, Herr...

 

 

Zweiter Akt

Ländliche Gegend am Meer

 

II.1

Pierrot. Charlotte.

 

Pierrot: Charlotte, ich will dir alles genau erzählen, was passiert ist. Ich habe sie als erster gesehen. Ich war am Strand, ich und der dicke Lukas, wir spielten mit Erdklumpen, indem daß wir sie uns an den Kopf schmissen. „Lukas“, sag ich, „da schwimmt jemand.“ – „Ich wette“, sagt er, „da ist niemand.“ Ich lege vier Münzen auf den Boden so ruhig, als gält es, ein Glas Wein auszutrinken. Kaum gewettet, da sehe ich die beiden Männer, wie sie uns Zeichen machen. „Lukas“, ruf ich, „wir müssen helfen.“ „Nein“, sagt er, „sollen sie doch ersaufen.“ Da hab ich ihn so lange überredet, bis wir uns in ein Boot setzten, und dann habe ich sie aus dem Wasser gezogen und zu uns ans Feuer gebracht, dann haben sie sich nackt ausgezogen, und dann kam Mathurine dahin, und der eine hat sie zärtlich angeguckt. Siehst du, Charlotte, so ist das alles gewesen.

Charlotte: Ist er noch nackt?

Pierrot: Nein, nein, sie haben sich wieder angezogen.

Charlotte: Den Mann mag ich sehen.

Pierrot: Charlotte, ich hab dich lieb, das weißt du, wir wollen heiraten; aber, mein Gott, ich bin mit dir nicht zufrieden.

Charlotte: Wieso denn?

Pierrot: Du liebst mich nicht.

Charlotte: Ah! Und weiter nichts? Ach Gott, Pierrot, immer sagst du mir dasselbe. Ja, was soll ich machen?

Pierrot: Sakrament! Du sollst mich lieben Wenn man richtig liebt, zeigt man es, dann macht man tausend Späße mit den Menschen, die man liebhat. Du stierst immer nur wie ein Holzklotz. Du bist zu kalt für eine Geliebte.

Charlotte: So bin ich halt. Das kann man nicht ändern. Wenn du damit nicht zufrieden bist, mußt du dir jemand anders zum Lieben suchen. (Don Juan  erscheint im Hintergrund.) Ist das der Herr?

Pierrot: Ja.

Charlotte: Zum Glück konnte er schwimmen.

Pierrot: Ich bin gleich wieder da. Ich geh was trinken.

 

 

II.2

Charlotte. Don Juan.

 

Don Juan: Dieser blöde Wind hat unser Boot und meinen Plan mit umgeworfen. Aber die Dorfschöne, die ich gerade getroffen habe, macht alles wieder gut. (Erblickt Charlotte.) Hoho! Sind Sie hier aus dem Dorf?

Charlotte: Ja, Herr.

Don Juan: Und wohnen hier?

Charlotte: Ja, Herr.

Don Juan: Und heißen?

Charlotte: Charlotte.

Don Juan: Drehen Sie sich um bitte. Ah! Gestalt entzückend! Heben Sie den Kopf ein bißchen, seien Sie so gut. Ach, süßes Gesicht! Machen Sie die Augen ganz weit auf. Oh, schön! Lassen Sie mich auch Ihre Zähne ein wenig sehen. Sehr gut.

Charlotte: Ich weiß nicht, ob Sie sich nur einen Spaß mit mir machen.

Don Juan: Dafür liebe ich Sie zu sehr. – Sagen Sie mir, schönste Charlotte, Sie sind doch nicht verheiratet?

Charlotte: Nein, aber demnächst soll ich den Pierrot heiraten.

Don Juan: Sie sind nicht dafür geschaffen, im Dorf zu leben. Ich liebe Sie völlig, und es hängt nur von Ihnen ab, ob ich Sie entführe.

Charlotte: Man hat mir immer gesagt, man dürfe den vornehmen Herren nicht trauen, ihr seid alle Verführer, die nur drauf aus sind, uns Mädchen flachzulegen.

Don Juan: Ich gehöre da nicht dazu. Ich habe keinen anderen Wunsch, als Sie zu heiraten.

Charlotte: Ja, wenn meine Tante einverstanden ist.

Don Juan: Schlagen Sie ein, Charlotte.

Charlotte: Aber ich bitte Sie, Herr, betrügen Sie mich nicht.

Don Juan: Soll ich einen Eid schwören? Der Himmel...

Charlotte: Nein nicht! Ich glaube Ihnen.

Don Juan: Dann küß mich jetzt.

Charlotte: Warten Sie, bis wir verheiratet sind. Dann werde ich Sie küssen, so viel Sie wollen.

Don Juan: Gut, Charlotte.

 

 

II.3

Die Vorigen. Pierrot.

 

Pierrot: (Stößt auf Don Juan, der Charlottes Hand küßt.) Langsam, mein Herr.

Don Juan: (Stößt ihn wieder weg.) Scher dich weg!

Charlotte: Laß ihn doch, Pierrot.

Pierrot: Ich will das nicht. (Don Juan gibt ihm eine Ohrfeige.) Au!

Charlotte: Pierrot, ärgere dich nicht.

Pierrot: Ich will mich ärgern. Du bist eine Schlampe.

Charlotte: Pierrot, es ist nicht so, wie du denkst. Der Herr will mich heiraten, und deswegen brauchst du dich nicht aufzuregen.

Pierrot: Du bist mit mir verlobt.

Charlotte: Das hat nichts zu sagen, Pierrot. Wenn du mich liebst, mußt du dich doch freuen, daß ich eine vornehme Dame werde.

Pierrot: Hätte ich das vorher gewußt, dann hätte ich ihn nicht dem Wasser gezogen.

Don Juan: (Geht auf Pierrot zu, um ihn zu schlagen.) Was sagt Er da?

Pierrot: Blitz und Donner! Ich habe keine Angst.

(Pierrot bückt sich und Charlotte erhält die Ohrfeige.)

Pierrot: Ich erzähle alles Ihrer Tante. (Ab.)

Don Juan: (Zu Charlotte.) Dich Glück gebe ich nicht mehr her.

 

 

II.4

Die Vorigen. Mathurine.

 

Mathurine: (Zu Don Juan.) Don, was machen Sie hier mit Charlotte?

Don Juan: (Heimlich zu ihr.) Sie wollte meine Frau werden – ich habe ihr geantwortet, daß ich an dich gebunden bin.

Charlotte: (Zu Don Juan.) Was will Mathurine von Ihnen?

Don Juan: (Leise.) Sie ist eifersüchtig, weil ich mit dir spreche. Sie will mich heiraten. Ich sag ihr aber, daß ich nur dich will.

Mathurine: Wie?

Don Juan: (Leise zu ihr.) Laß sie in Ruh, sie ist nicht ganz bei Trost. Ich wette, sie sagt dir, ich hätte versprochen, sie zu heiraten.

Charlotte: Ich...

Don Juan: (Leise zu ihr.) Wollen wir wetten, sie behauptet, ich hätte ihr mein Wort gegeben, sie zur Frau zu nehmen?

Mathurine: Heda, Charlotte, das ist nicht fein, in Fremdland einzudringen. Mich hat der Herr zuerst gesehen.

Charlotte: Du warst die erste, und mir hat er die Ehe versprochen.

Don Juan: (Leise zu Mathurine.) Nun, was habe ich dir gesagt?

Mathurine: (Zu Charlotte.) Mich wollte er heiraten.

Don Juan: (Leise zu Charlotte.) Hab ich nicht richtig geraten?

Charlotte: (Zu Mathurine.) Ist es wahr, Herr, daß Sie ihr die Ehe versprochen haben?

Don Juan: (Leise zu ihr.) Ha ha.

Mathurine: Ist es wahr, Herr, daß sie ihr das Wort gegeben haben, sie zu heiraten?

Don Juan: (Leise zu ihr.) Wie kannst du so etwas denken?

Charlotte: Nein, nein, ich will die Wahrheit wissen.

Mathurine: Die Sache muß geklärt werden.

Charlotte: Entscheiden Sie bitte den Streit, Herr.

Don Juan: Was soll ich sagen? Ihr behauptet beide, ich hätte euch die Ehe versprochen. Diejenige, der ich sie wirklich versprochen habe – kann sie nicht allein, von sich aus, die andere überführen? Ja, muß sie sich noch die Mühe geben, wenn ich mein Versprechen halte? Wenn ich heirate, wird sich’s zeigen, welche von beiden ich mag. (Leise zu Mathurine.) Ich bete dich an. (Zu Charlotte.) Ich bin Deiner. (Laut.) Ich habe noch einige Kleinigkeiten zu erledigen. Im einer Viertelstunde bin ich wieder da. (Die Mädchen ab.)

 

 

II.5

Don Juan. Sganarell.

 

Sganarell: Don, Sie sind in Gefahr.

Don Juan: Woher?

Sganarell: Zwölf Reiter suchen Sie. Die Sache drängt. Je schneller Sie abhauen, desto besser.

Don Juan: Du mußt meine Sachen anziehen, Sganarell, und ich...

Sganarell: Herr, das ist ein Witz.

Don Juan: Das muß doch den Diener glücklich machen, wenn er für seinen Herrn sterben darf.

Sganarell: Ich danke. (Don Juan ab.)

 

 

 

Dritter Akt

Ein Wald, der unmittelbar an den Friedhof grenzt. Auf der einen Seite die Friedhofsmauer mit dem geschlossenen Tor, über welches sich das Grabmal des Komturs erhebt.

 

III.1

Don Juan in ländlicher Tracht. Sganarell als Arzt verkleidet.

 

Sganarell: Dieses Gewand verkleidet uns viel besser als das, was Sie sich ausgedacht haben. Fünf Bauern hielten mich unterwegs an und fragten mich um Rat bei diversen Krankheiten.

Don Juan: Und hast du ihnen gesagt, daß du keine Ahnung hast?

Sganarell: Ich? Null! Ich habe über die Krankheiten geredet und jedem etwas verschrieben.

Don Juan: Die Medizin ist doch einer der größten Blödsinne der Menschheit. Wo sind wir hier eigentlich?

Sganarell: Keine Ahnung.

Don Juan: Wir haben uns anscheinend verirrt. Frag mal den Mann da nach dem Weg.

 

 

III.2

Die Vorigen. Ein Bettler

 

Sganarell: Holla! Zeige Er uns bitte den Weg in die Stadt.

Ein Bettler: Immer geradeaus, und wenn Sie aus dem Wald heraus sind, rechts abbiegen. Aber Obacht: Es gibt hier neuerdings Räuber.

Don Juan: Vielen Dank, Freund.

Ein Bettler: Dürfte ich Sie um ein kleines Almosen bitten? Ich bete jeden Tag zu Gott für die guten Menschen, die mir etwas geben.

Don Juan: Dann müßte es dir sehr gut gehen, oder?

Ein Bettler: Ach, Herr, ich lebe in größter Armut.

Don Juan: Komisch. Dann wirst du schlecht für deine Mühe belohnt. Ich gebe dir sofort ein Goldstück, wenn du fluchst.

Ein Bettler: Don, wollen Sie, daß ich sündige?

Don Juan: Ich will nur wissen, ob du ein Goldstück haben willst oder nicht. Da – das gebe ich dir, wenn du fluchst. Nimm es! Aber erst fluchen.

Ein Bettler: Herr...

Don Juan: Du bekommst sonst nichts.

Ein Bettler: Nein, Herr, lieber will ich verhungern.

Don Juan: Nimm es und verschwind. Ich gebe es dir aus Liebe zu den Menschen. (Der Bettler ab.) Was ist das? Ein Mann wird von drei anderen überfallen. Das ist unfair. Die erleben jetzt was. (Zieht den Degen und eilt davon.)

 

 

III.3

Sganarell. Dann Don Juan und Don Carlos.

 

Carlos: (Den Degen einsteckend.) Gestatten Sie, mein Herr, daß ich Ihnen meinen Dank ausspreche.

Don Juan: Ich habe nichts getan, mein Herr, was Sie nicht auch getan hätten. Wie aber sind Sie an diese geraten?

Carlos: Zufällig habe ich meinen Bruder und unsere Leute verloren.

Don Juan: Waren Sie auf dem Weg in die Stadt?

Carlos: Ja, aber wir wollten sie nicht betreten. Mein Bruder und ich durchsuchen die Umgebung – in einer eher peinlichen Angelegenheit.

Don Juan: Darf ich fragen, worum es sich dabei handelt?

Carlos: Unsere Schwester wurde beleidigt, und das wollen wir rächen. Sie wurde verführt und aus dem Kloster geraubt, und zwar von einem gewissen Don Juan Tenorio. Wir suchen ihn schon einige Tagen und hoffen, ihn hier zu finden. Aber alles war bisher umsonst.

Don Juan: Kennen Sie diesen Don Juan?

Carlos: Ich nicht. Ich habe ihn nie gesehen, ich kenne nur die Beschreibung meines Bruders. Aber sein Ruf ist schlecht genug. Sein Leben...

Don Juan: Stopp bitte. Ich bin ein Freund von ihm und will nicht hören, wie man schlecht von ihm spricht.

Carlos: Sie finden aber das, was er veranstaltet, doch nicht gut? Es ist doch in Ordnung, daß wir uns rächen wollen?

Don Juan: Selbstverständlich, ich will Ihnen sogar helfen. Sie brauchen ihn nicht mehr zu suchen, weil ich ihn dazu bringen werde, sich Ihnen an jedem gewünschten Ort zu jeder beliebigen Zeit zu stellen.

Carlos: Eigenartig – ausgerechnet ein Freund von Don Juan rettet mir das Leben.

Don Juan: (Die Hand am Degen.) Ja, ich selbst bin Don Juan.

Carlos: (Zieht den Degen.) Wie bitte! Dann mußt du sterben und...

(Sganarell versteckt sich.)

Don Juan: Halt, Bruder! Du verdankst mir dein Leben.

Carlos: Die Ehre ist mehr wert als das Leben. Wir sind zu nichts verpflichtet, wenn wir das Leben einem Mann verdanken, der uns die Ehre gestohlen hat.

Don Juan: Beruhig dich. Wenn ich einen Fehler begehe, mache ich ihn auch wieder gut, ich mache alles, was die Ehre verlangt. Ich weiß selbst, wie schwer ich Sie beleidigt habe. Ich habe Ihnen versprochen, Ihnen die Abrechnung mit Don Juan zu ermöglichen – ich halte, was ich verspreche. Nur jetzt will ich meinen Degen schlafen lassen, aber ich versichere Ihnen, daß ich zur Verfügung stehe, sobald Sie mich rufen. Beruhigen Sie sich und schlafen Sie eine Nacht, auch Sie müssen wieder zu Kraft kommen.

Carlos: Ich will gehen, meinetwegen, meines geretteten Lebens wegen. Aber der Augenblick wird kommen. Und zwar bald. (Ab.)

 

 

III.5

Don Juan. Sganarell kommt hinzu aus einem Gebüsch.

 

Don Juan: Es war ein Bruder von Elvira.

Sganarell: Ein...

Don Juan: Er ist ein guter Mann, und er benimmt sich anständig. Direkt schade, daß wir Feinde sind.

Sganarell: Man hätte sich doch gerade leicht vertragen können.

Don Juan: Möglich. Ich habe bloß nichts mehr für Elvira übrig – Was ist denn das für ein Mordstempel dort hinter den Bäumen?

Sganarell: Sie kennen das nicht? Das ist das Grab, das der Komtur errichten ließ, als Sie ihn tot stachen.

Don Juan: Jeder redet davon, wie toll es ist und auch von der Statue des Komturs. Ich will mir das jetzt ansehen.

Sganarell: Gehen Sie da nicht hinein.

Don Juan: Warum nicht?

Sganarell: Sie haben den Mann umgebracht.

Don Juan: Es ist ein Besuch, mit dem  ich ihm meinen Respekt zeige. Er muß dankbar sein, wenn er ein höflicher Mann ist. Komm, gehen wir rein.

(Er öffnet das Tor des Friedhofs, man sieht die offene Grabkapelle mit dem Standbild des Komturs.)

Sganarell: Schön!

Don Juan: Nicht übel!

Sganarell: Er sieht aus wie lebendig.

Don Juan: Frag ihn, ob er heute mit mir abend essen will.

Sganarell: Tz. – Herr Komtur, mein Gebieter Don Juan läßt Sie fragen, ob Sie ihm die Ehre erweisen wollen, heute abend mit ihm zu speisen. (Die Statue nickt.) Ooh!

Don Juan: Was gibt’s?

Sganarell: Die Statue... hat sich bewegt.

Don Juan: Komm her, du Lump! Das will ich sehen. Will der Herr Komtur heute abend bei mir dinieren?

(Die Statue nickt wieder.)

Sganarell: Nun Herr?

Don Juan: Gehen wir. (Ab.)

 

 

Vierter Akt

Zimmer im Schlosse Don Juans.

 

IV.1

Don Juan. Sganarell.

 

Don Juan: Los, bringt mir mein Abendessen.

Sganarell: Gnädiger Herr, da ist Ihr Vater, Don Luis, an der Tür. Er möchte Sie sprechen.

Don Juan: Das hat gefehlt – der will sein Geld. Warum hat man ihm nicht gesagt, ich sei nicht zu Hause?

Sganarell: Eine Stunde lang habe ich es ihm immer wieder gesagt. Er will es aber nicht glauben, sitzt da und wartet.

Don Juan: Laß ihn eintreten.

 

 

IV.2

Die Vorigen. Don Luis.

 

Don Juan: Ah, lieber Herr Vater. Treten Sie näher. Ich bin begeistert, Sie zu sehen, und ich bin böse auf Sganarell, daß er Sie nicht gleich zu mir ließ. Wollen Sie mit mir zu Abend speisen?

Don Luis: Nein, mein Sohn, ich muß gleich wieder nach Hause. Ich...

Don Juan: Umarmen Sie mich! Ich bitte Sie nochmals, überzeugt zu sein, daß ich ganz der Ihre bin und daß es nichts auf der Welt gibt, was ich nicht für Sie täte.

Sganarell: Sie werden zugeben müssen, daß mein Herr Sie sehr gern hat.

Don Luis: Allerdings. Er ist so freundlich, daß ich gar nicht weiß, wie ich ihn um mein Geld bitten soll.

Sganarell: Pfui.

Don Luis: Doch, doch, leider muß ich es sein, der in den Spaß ein Loch reißt: Wir sind am schlechten Ende der Wurst angekommen. Mein Junge, ich mag meinetwegen alt sein und nicht mehr alles mitbekommen – und wahrscheinlich ist das auch gut so – aber was ich noch sehe, langt völlig. Wir leben nicht mehr in der Zeit, in der alles, was machbar ist, auch ohne weiteres getan werden darf. Ich rede nicht von den Gefühlen der anderen – das weißt du selbst. Ich rede von so etwas wie Moral, von Verantwortung, die du endlich mal spüren solltest. Lach ruhig. Ich bin alt und nicht mehr lange hier, dann gehört dir dieses ganze Imperium aus Schmutz, dann kannst du damit machen, was du willst. Aber es brennt bereits auf deinem Dach, ich höre es lodern, obwohl ich die schlechteren Ohren habe. Sei mal ein bißchen leiser.

Don Juan: (Wirft ihm eine Handvoll Münzen hin.) Da, das gehört dir. Ich will nichts mehr hören.

Don Luis: Das will ich nicht. Denk an mich, wenn ich die Tür hinter mir geschlossen habe. (Ab.)

 

IV.3

Don Juan. Sganarell.

 

Don Juan: (Spricht dem Vater hinterher.) Sterben Sie nur so bald wie möglich. Das ist das Beste, was Sie tun können. Jeder muß seine Zeit haben, und es ist lächerlich, Väter zu sehen, die so lang leben wollen wie ihre Söhne mit ihren moralischen Vorschlägen. Deine Zeit ist vorbei, Alter.

Sganarell: Ach, Herr, Sie haben Unrecht.

Don Juan: (Steht auf.) Ich – unrecht?

Sganarell: Ja, Herr, es war unrecht, sein Geschwätz überhaupt anzuhören. Sie hätten ihn hinauswerfen sollen. Das war unverschämt. Ein Vater kommt und macht seinem Sohn Vorwürfe, sagt ihm, er solle sich bessern, solle an seine Herkunft denken – ich bewundere Ihre Geduld.

Don Juan: Bekomme ich nun endlich mein Abendessen?

 

 

IV.4

Die Vorigen. Dann Donna Elvira.

 

Sganarell: Don, eine verschleierte Dame will Sie sprechen.

Don Juan: Wer denn?

(Elvira kommt.)

Elvira: Wundern Sie sich nicht, Don Juan, mich zu sehen. Sie sehen mich heute in einer ganz anderen Verfassung. Der Himmel hat die alberne Leidenschaft, die mich an Sie zog, erwürgt, alles Verlangen einer irdischen, gewöhnlichen Liebe. Geblieben ist eine von allen Sinnen gereinigte Flamme, eine himmlische Zärtlichkeit, eine Liebe, die uneigennützig und nur auf Ihr Wohl gerichtet ist.

Don Juan: (Zu Sganarell.) Weinst du?

Sganarell: Entschuldigung.

Elvira: Derselbe Himmel, der mir meinen Irrtum klar gemacht hat, befahl mir, Sie aufzusuchen und Ihnen zu sagen, daß Sie seine Barmherzigkeit erschöpft haben, daß sein furchtbarer Zorn auf Sie niedergehen wird, daß Sie ihn aber abwenden können, wenn Sie sofort bereuen. Es tut mir weh, daß ein Mann, den ich geliebt habe, zum abstoßenden Beispiel göttlicher Gerechtigkeit werden soll. Ich liebte Sie mit allem, was ich bin, nichts auf der Welt war mir so viel wie Sie – und der einzige Dank, den ich haben will, ist, daß Sie sich ändern und Ihren Untergang verhüten.

Don Juan: Madonna, es ist spät. Bleiben Sie hier. Wir bringen Sie gut unter.

Elvira: Nein. Ich gehe; denken Sie an meine Warnung ziehen Sie einen Nutzen daraus. Bitte. (Ab.)

 

 

IV.5

Don Juan. Sganarell.

 

Don Juan: Nett, diese Verrücktheit. Ihre nachlässige Kleidung, ihre schmachtenden Blicke, ihre Tränen – ich glaube da rührt sich gerade wieder was unter der Asche, in der Glut, in mir.

Sganarell: Mit anderen Worten: Ihre Warnung läßt Sie kalt.

Don Juan: Das Abendessen. Pronto.

Sganarell: Sofort.

Don Juan: (Setzt sich an den Tisch.) Doch, doch, man muß sich bessern, Noch zwanzig, dreißig Jahre leben, und dann wird es Zeit, an sich zu denken.

(Sganarell bringt das Essen, nimmt ein Stück aus der Schüssel und stopft es sich in den Mund.)

(Es klopft.)

Don Juan: Ich möchte in Ruhe speisen. Niemand einlassen.

Sganarell: Lassen Sie mich machen. Ich schaue nach. (Er geht zur Tür, blickt hinaus, fährt entsetzt zurück.)

Don Juan: Was ist denn los?

Sganarell: (Mit dem Kopf nickend wie das Standbild.) Der... der... ist da.

Don Juan: Laß ihn ein. Wir zeigen ihm, daß uns nichts aus der Ruhe bringt.

 

 

IV.6

Die Vorigen. Das Standbild des Komturs.

 

Don Juan: Einen Stuhl und ein Besteck. (Don Juan und der Komtur setzen sich.) Na, willst du nicht auch hinsitzen?

Sganarell: Ich habe keine Hunger mehr.

Don Juan: Setz dich, sag ich. Auf das Wohl des Komturs.

Komtur: Es ist genug, Don Juan. Ich lade dich ein, morgen abend mit mir zu essen. Bist du dazu mutig genug?

Don Juan: Ja, ich komme mit Sganarell.

Sganarell: Ich danke Ihnen, Herr, aber ich habe morgen Fasttag.

Don Juan: (Zu Sganarell.) Nimm die Fackel.

Komtur: Man braucht kein Licht, wenn einen der Himmel führt.

 

 

 

Fünfter Akt

Freie Gegend

 

V.1

Don Juan. Don Luis. Sganarell.

 

Don Juan: Weißt du, Vater, ich glaube doch, du hast recht. Manchmal und auch gestern bin ich recht rauschig, gerade wenn ich noch nichts gegessen habe, da glüht es recht in mir und die schönen Weiber, und ich denke, ich bin noch mal sechzehn und könnte noch einmal die Welt aus den Angeln reißen und verkehrt herum wieder hinsetzen. So ist das. Und schon heute, wo der Wein im Blut wieder etwas ausgekühlt ist, sehe ich es klar und höre es vom Himmel oder sonst woher flüstern, daß wir uns unsere Jugend und Stärke nur geliehen haben, am besten um damit ein Haus zu bauen und ein Kind zur Ehre unseres Schöpfers dort hineinzusetzen mit einer Frau, die nicht unbedingt schön sein muß, aber schlau und drall und eine Mutter.

Don Luis: Das ist richtig, Sohn, genau so würde ich es unterschreiben. Schön, daß die Menschen noch Ohren auf den Herzen wachsen haben. Schön, daß sie auch noch manchmal auf mich hören damit. Sohn, ich bin nicht stolz, aber doch gerührt. Nimm das, jetzt weiß ich, daß es nicht in den Ofen fließt. (Gibt ihm einen Sack mit Geld und ab.)

 

V.2

Don Juan. Sganarell.

 

Sganarell: Freut mich, daß Sie bekehrt sind. Nach langem Warten sind nun meine Wünsche erfüllt.

Don Juan: Die Pest an dich, du Rindvieh.

Sganarell: Wieso Rindvieh?

Don Juan: Ich habe mich nicht geändert. Ich bin der Alte.

Sganarell: Das heißt, das lebende Steinbild hat Sie nicht beeinflußt? Das heißt, daß Sie mit allen Teufeln gewaschen sind.

 

 

V.3

Die Vorigen. Don Carlos.

 

Carlos: Gut, daß ich Sie treffe, Don Juan. Ich gestehe, daß mir eine friedliche Lösung sehr gelegen käme, und ich bin bereit, alles zu tun, damit Sie meine Schwester wieder zu Ihrer Frau nehmen.

Don Juan: Ich will zur Zeit nur allen Reizen dieser Welt für immer entfliehen und durch ein mönchisches Leben alles büßen, in was mich das Feuer einer blind-blöden Jugend gerissen hat.

Carlos: Das läßt sich in einer Ehe gut verwirklichen.

Don Juan: Eben nicht. Ihre Schwester selbst ist entschlossen, sich aus der Welt zurückziehen.

Carlos: Sie entführen meine Schwester aus dem Kloster, um sie dann sitzen zu lassen?

Don Juan: Der Himmel ist der Chef.

Carlos: Immer wieder der Himmel.

Don Juan: Ja, ja.

Carlos: Genug. Don Juan, ich habe verstanden. Sehr bald werde ich Sie auffordern.

Don Juan: Ich will mich nicht schlagen. Der Himmel verbietet es mir, daran zu denken. Wenn Sie angreifen, werden Sie aber schon sehen, was passiert.

Carlos: Wir werden sehen, sicher, wir werden es sehen. (Ab.)

 

 

V.4

Don Juan. Sganarell.

 

Sganarell: Welcher Teufel reitet Sie? Ich glaube, jetzt war es zu viel, jetzt ist im Himmel der Geduldsfaden gerissen und der Teil, der nach unten zeigt, legt sich nun sauber um Ihren Hals. Jetzt ist es so weit. Glaube ich.

Don Juan: Schon gut, schon gut! Der Himmel ist nicht so pünktlich, wie du denkst.

Sganarell: Herr, bereuen Sie! Und glauben Sie.

Don Juan: Nein, ich bin nicht imstande zu bereuen, was auch geschieht. Komm mit!

Sganarell: Oh Herr, ein Gespenst, ich erkenne es am Gang.

Don Juan: Gespenst, Geist, Teufel, ich will sehen, was es ist!

 

 

V.5

Die Vorigen. Das Standbild des Komtur.

 

Komtur: Halt, Don Juan! Du hast gestern versprochen, mit mir zu essen.

Don Juan: Klar. Wohin gehen wir?

Komtur: Gib mir deine Hand.

Don Juan: Da!

Komtur: Don Juan, die Sünde bringt einen furchtbaren Tod.

Don Juan: Herrgott! Was passiert da? Ein Feuer verbrennt mich. Drinnen.

(Donner und Blitz, die Erde spaltet sich, Don Juan und der Komtur versinken, Flammen steigen aus der Tiefe auf.)

Sganarell: (Allein.) Oh nein! Mein Lohn! Da hat nun jeder, was er will: der gekränkte Himmel, die verletzten Gesetze, die geschändeten Mädchen, die entehrten Familien, die beschimpften Eltern, die verführten Ehefrauen, die betrogenen Männer – die ganze Welt ist zufrieden. Ich bin allein unglücklich. Mein Lohn, mein Lohn, mein Lohn!

 

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